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Mutterschuldgefuehl

Titel: Mutterschuldgefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Hartmann
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nicht schlecht erzogen sind.
    Wahrscheinlich ist es da nur logisch, dass Automobile in unserer Gesellschaft mehr Raum als Kinder haben. Jeder einzelne Parkplatz für ein Auto ist größer als der Platz, der einem Kind in der Wohnung von Stadtplanern durchschnittlich als Lebensraum zugestanden wird. In der Stadt können Kinder nicht an frischer Luft frei spielen, weil Pkws freie Fahrt haben. Die kleinen eingezäunten Areale, in die Kinder deshalb zurückgedrängt werden, heißen »Spielplätze«, weil es tatsächlich die einzigen Plätze zum Spielen sind. Kaum einem fällt auf, wie verdreht eine Welt ist, in der Vehikel Kinder verdrängen dürfen. Ja, es ist eigenartig, dass sich nur Mütter voll auf die Bedürfnisse von Kindern einstellen müssen, alle anderen offenbar nicht.
    Und nun komme ich mit meinem Kind. Ich wittere wunschgemäß jede Gefahr, wie von der Natur vorgesehen, und meine Alarmbereitschaft läuft auf Hochtouren. Aber leider hat die Natur nicht an Reizüberflutung und Diesel-Feinstaub gedacht. Früher vielleicht als anregend empfundene Straßengeräusche, Gerüche und Farben wirken auf einmal brüllend laut, penetrant und grell und die Sorge um das Baby lässt ständig mein Herz rasen. Nicht selten falle ich hektisch in Galopp, um mein Baby aus dem ohrenbetäubenden Krach und den stinkenden Abgasen herauszubringen. Wie um Himmels willen soll ich mein Kind vor Umweltgiften schützen
? Wie soll ich das einhalten, was in den Ratgebern so unermüdlich und dringend gefordert wird?
    Meine Empfindsamkeit nimmt mit den Wochen zwar ab, dafür nimmt mein Kind zu. Die körperliche Anstrengung wird größer. Ich kann alle Frauen mit starkem Kreuz nur beglückwünschen. Schön für euch! Ich selbst kann mein Baby nicht im Tragetuch tragen. Mein Rücken schmerzt unter dem Gewicht nach wenigen Minuten. Mit dem Kinderwagen allerdings komme ich vor jeder Bordsteinkante, U-Bahn-Treppe oder Ladenstufe ins Schwitzen, denn ich muss den Wagen möglichst ruckelfrei hieven und dann geschickt durch enge Zugänge manövrieren. Meterhohe Eingänge bei Bus und Bahn sind eindeutig etwas für Fortgeschrittene. Mit hochrotem Kopf lerne ich schnell, meinen Radius einzuschränken. Es ist mir zunehmend unerklärlich, warum das Fahren eines Kinderwagens nicht wie Windeln und Baden im Geburtsvorbereitungskurs erlernt wird oder zumindest psychologisch schonend auf dieses Alter Ego einer Gefängniskugel vorbereitet wird. Denn Mutter, Kind und Wagen verschmelzen quasi zu einer klobigen Einheit.
    Adieu, ihr engen Discountläden, Boutiquen und Weihnachtsmärkte! Lebt wohl, ihr netten Cafés, Gaststätten und Kinos! Wir Mütter halten uns jetzt im Freien auf - auf Spielplätzen, in Parks und Biergärten, im Winter in Einkaufszentren und Restaurants schwedischer Möbelgeschäfte. Macht euch nicht vor, dass euch das Tragetuch vor dem gesellschaftlichen Abseits rettet - Kinder, weil laut lebend, sind selten erwünscht.
    Hilfe! Wie soll ich mein Kind vor dieser Welt retten? Wo bitte ist die Idylle, die ich dem Kind bieten soll? Es hilft nichts. Ich brauche einen Experten.
    Und wieder mal geht es zur Kinderärztin.

Bei der Kinderärztin: Von der U1 bis zur U11
    Â»Ja, das ist doch prima!« Die Kinderärztin schaut lächelnd auf die Untersuchungsergebnisse.

    Â»Sie können zufrieden sein. Ihr Kind entwickelt sich gut.«
    Dankbar schaue ich sie an. So eine nette Frau. So sympathisch. Mir fällt ein riesiger Stein vom Herzen. Ich bin bei einer Kinderuntersuchung, einer sogenannten »U«.
    Glücklicherweise hat jedes Kind in Deutschland ein Anrecht auf regelmäßige Untersuchungen bei Kinderärzten, die in unregelmäßigen Abständen kontrollieren, ob das Kind sich gut entwickelt und gesund ist. Die erste Untersuchung - kurz U1 genannt - findet direkt nach der Geburt statt, die U2 nach drei bis zehn Tagen, die U3 in der vierten bis sechsten Lebenswoche, die U4 im vierten Lebensmonat, dann U5 bis zur U9 in den folgenden Jahren bis zum 64. Lebensmonat des Kindes, sodass kein kleiner Mensch in den ersten fünf Jahren längere Zeit unbeobachtet bleibt. Neuerdings ist man dazu übergangen, zwei zusätzliche Untersuchungen für Sieben- oder Achtjährige und Neun- bis Zehnjährige einzuführen. U10 und U11 sollen psychische Probleme, Verhaltensstörungen und auch schädlichen

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