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Mutterschuldgefuehl

Titel: Mutterschuldgefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Hartmann
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zusammengehalten. Konversationen über Politik und Wirtschaft, beeindruckende Urlaubsreisen, Hobbys, Autos und Freunde sind tabu. Hier geht es schlicht um das Kind. Mütter - und selten auch mal Väter - streben zueinander, um miteinander etwas Luft zu holen, um sich ein bisschen fallen zu lassen, sich auszutauschen und zu lernen. Wir sitzen alle im Kreis, die Babys liegen nackt und frei auf Gummimatten vor uns und wir spielen mit ihnen und lernen sie zu verstehen.
    Ich genieße es, mit meinem Kind einen festen Anlaufpunkt zu haben. Endlich finde ich Frauen und Männer, die in derselben Situation sind wie ich. Wo finde ich sonst Menschen, die sich so bereitwillig anhören, wie ganz außergewöhnlich das Leben mit Kindern ist? Wo kann ich so intensiv über beunruhigende Verdauung diskutieren, ohne fortan gemieden zu werden? Und wo könnte ich theoretisch besser neue Freundschaften finden? Die Gruppe fängt mich auf, beglückt mich und gibt mir endlich das Gefühl, normal zu sein. Viele meiner Probleme entpuppen sich auf einmal als Scheinprobleme:

    Â»Was, dein Kind spuckt auch so wild?«
    Oder:
    Â»Schläft euer Kind auch noch nicht durch?«
    Â 
    Die Erfahrung, dass es anderen ähnlich geht, lässt mich tief aufatmen und das Leben in rosigeren Farben sehen. Ich fördere spielend mein Kind und spreche mit anderen Müttern über Kinderernährung, Stillprobleme, Schlafgewohnheiten und kindliche Entwicklungsphasen und fühle mich geborgen. Wir tauschen uns aus über Panikattacken im Straßenverkehr, über Supermarkt-Theater, aufdringliche Passanten und rüstige Rentner und sind ein Stück getröstet. Es tut gut zu wissen, dass man nicht schuld ist an diesem Aufruhr, sondern dass es in Deutschland eine Art Volkssport ist, Müttern die Leviten zu lesen.
    Und es gibt keine bessere Informationsbörse. Möchte ich wissen, welche Windeln, Strampler, Fläschchen, Schnuller oder sonstiges Babyutensil von Stiftung Warentest mit »gut« bewertet wurden, wo ich sie am günstigsten erstehen kann und ob es dazu Gutscheine gibt? Kein Problem. Eine von ihnen weiß es bestimmt. Brauche ich einen guten Kinderarzt, einen Osteopathen, Logopäden oder Ergotherapeuten? Hätte ich gerne einen guten Ratgeber über gesunde Babynahrung oder effektives Schlaftraining? Bin ich neugierig, welche anderen Fördergruppen für uns interessant wären und wo ich die besten Anbieter finde? Ich frage die Gruppe. Es gibt keine bessere Informationszentrale als zehn Mütter, die über die Stadt verteilt wohnen, Internetanschluss besitzen und die Augen offen halten.

Wer kann am besten sein Fäustchen drehen? - Baby-Wettbewerb
    Nun ist es mit der menschlichen Natur so eine Sache. Wir sind zwiespältig. Einerseits wollen wir Menschen uns in einer Gruppe als Gleiche unter Gleichen aufgehoben fühlen. Vor allem wir Frauen sehnen uns oft danach, harmonisch mit
anderen im Einklang zu leben, das zu tun, was alle machen, und uns mit den Wellen zu wiegen. Wir möchten in dem beruhigenden Gefühl leben, das Richtige zu tun, weil es eben alle tun.
    Andererseits möchten wir Menschen aber gerne auch etwas Besonderes sein, einzigartig unter Gleichen. Wir möchten in unserem individuellen Wesen erkannt und anerkannt werden. Und wie kann ich feststellen, was gerade mich ausmacht? Wie finde ich meine Identität? Ganz einfach: indem ich mich abgrenze von den anderen. Indem ich mich vergleiche. Was habe ich, was andere nicht haben? Was haben die anderen, was mir fehlt? Erfolg, bestimmte Fähigkeiten, Bildung, Schönheit, Klugheit, Geld, Aufmerksamkeit, Autos, Häuser, Freunde, Männer, Glück? Die Liste lässt sich endlos ausdehnen. Es gibt nichts, was sich nicht vergleichen ließe. Und eben auch die Kinder.
    Zunächst finde ich es schön, mit meinem Baby in der Gruppe aufzugehen. Aber bald möchte ich auch wissen, was mein Kind von den anderen unterscheidet. Was kann das Baby da zum Beispiel, was meines nicht kann? Was zeigt meines, was anders ist? Es ist interessant, das eigene Kind mit anderen zu vergleichen. Man lernt es viel besser verstehen. Was ich in den Somatogrammen im Kinderuntersuchungsheft oder in den zahlreichen Büchern nicht nachvollziehen konnte - hier kann ich ganz praktisch sehen, was die meisten Kinder in bestimmten Phasen können und wie sie sich verhalten, und ich kann ganz leicht erkennen, ob mein Kind sich im Bereich des

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