Mutterschuldgefuehl
Mütter gekonnte Selbstdarstellerinnen sind, kann es aber nicht beweisen, und bald ertappe ich mich dabei, wie ich meinen Profi-Mutter-Alltag etwas aufpeppe. Es müssen ja nicht alle wissen, wie oft ich mich als komplette Versagerin fühle.
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»War das heute ein schöner Tag!«, strahle ich die anderen an.
»Mmh«, sagen die anderen. Sie sehen etwas müde aus.
»Wir waren heute den ganzen Tag an der frischen Luft«, sage ich und zupfe behaglich die Windel meiner Kleinen zurecht. Ich verschweige geflissentlich, dass ich den Rest der Woche sehr häuslich war.
»Es hat ihr so gut gefallen. Sie haben immer so viel Spaà drauÃen, nicht?«
Und schon habe ich mein Image etwas aufpoliert.
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Dummerweise ist die Mutter-Kind-Welt eine, wie sie ungerechter nicht sein könnte: Das eine Kind schreit sieben Stunden am Tag, das andere sieben Minuten in der Woche. Jenes Baby schläft bald durch, das andere niemals. Das eine Kind ist krank oder behindert, das andere ist kerngesund. Das Kind dort erntet überall Wohlwollen, das andere da meistens Missfallen. Das da ist bildschön, das andere eher nicht. Das da reagiert schnell, das andere gar nicht. Dort hat eine Mutter rund um die Uhr Hilfe vom Vater, von Verwandten und Freunden, eine andere muss alles alleine machen. Da hat eine Mutter genügend Geld, um sich Babysitter, Designermode und exklusive Frühförderung zu leisten, die andere weià kaum, wie sie die Windeln bezahlen soll. Die eine sieht blühend aus, die andere verwelkt. Jene hat abgenommen, die andere hat Speck angesetzt. Die eine Mutter ist glücklich, die andere verzweifelt. Ach, du schöne Gruppenharmonie! Du kannst einem schon zum Halse raushängen, wenn ich
mich in puncto Zufriedenheit am unteren Ende der Skala befinde.
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Meine Nachbarin ist glücklich. Ihr Baby ist zwei Wochen alt. Meines ist fast fünf Monate auf der Welt.
»Stell dir vor«, sagt sie, »die Kleine schläft durch! Ich habe die ganze Woche geschlafen wie ein Murmeltier!«
Ich merke, wie meine Gesichtszüge entgleiten. Ich werde gallenbittergrün. Nie in meinem Leben war ich so hässlich neidisch.
»Aha«, sage ich tonlos. »Wie schön.« Tiefe Schatten liegen um meine Augen.
»Ich muss dann mal los«, sage ich. Und lasse sie einfach sitzen.
Neid und Gruppenharmonie
Es ist ohne Zweifel eine der gröÃten Herausforderungen, andere Eltern glücklich und zufrieden zu sehen, ohne es selbst gerade zu sein. Da kann ein Mensch schon mal schnell neidisch werden.
Nun ist Neid an sich nicht nur eine schlechte Eigenschaft. Im Gegenteil - er kann Menschen positiv motivieren. Nehmen wir folgenden Witz vom Neid-Forscher Rolf Haubl aus seinem Buch Neidisch sind immer nur die anderen :
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»Geht ein US-Amerikaner mit seinem Freund spazieren. Kommt ein groÃer Cadillac vorbei. Sagt der Amerikaner zu seinem Freund: âºSo einen Wagen fahre ich auch noch mal!â¹ - Geht ein Deutscher mit seinem Freund die StraÃe entlang, fährt ein BMW vorbei. Sagt der Deutsche zu seinem Freund: âºDer Typ geht auch noch mal zu FuÃ!â¹Â«
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Wie der Witz durchblicken lässt, gelten wir Deutsche im interkulturellen Vergleich nicht gerade als besonders groÃzügig. Uns Deutschen wird eher nachgesagt, ordentlich missgünstig neidisch zu sein. Wir sehen es nicht gerne, wenn
Einzelne sich allzu deutlich von der Gruppe entfernen, ob nach unten oder nach oben. Nur wenige fühlen sich durch die Güter anderer angespornt. Im Allgemeinen frustriert den Deutschen das offensichtliche Glück anderer eher, als dass es ihn zum Nacheifern veranlasst.
Und Mütter sind da nicht anders. Ja, um ehrlich zu sein, bin ich besonders anfällig für missgünstigen Neid. Ich bin todmüde und erschöpft. Ich habe keine Hilfe von Verwandten und mein Mann arbeitet viel. Die pränatale Diagnostik sitzt mir immer noch in den Knochen, die Angst im Alltag macht mich fertig, die Anforderungen der Ratgeber schnüren mir den Hals zu und die Mutterschuld sitzt mir im Nacken. Ich habe ständig Angst zu versagen und nage an gewaltigen Schuldgefühlen. In einer Zeit, in der Medien rund um die Uhr verkünden, dass alles machbar sei - »man muss es nur wollen« -, finde ich es sehr beschämend, wenn mein Baby oder ich eben nicht »alles« machen. Mir fällt gar nicht auf, dass es den meisten anderen Müttern auch so geht. Sie
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