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Mutterschuldgefuehl

Titel: Mutterschuldgefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Hartmann
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Arztpraxen und Institutionen - immer und überall ist das Thema: Wie können unsere Kinder und wir besser werden? Was können wir tun, um die Entwicklung der Kinder zu fördern? Wie können wir von Anfang an das Beste für unseren Nachwuchs tun? Der Hype ist überall und ansteckend. Nahezu alle Mütter, die ich kenne, sind äußerst lernwillig und eifrig. Merke: Ein erfolgreiches Leben beginnt in den Windeln.
    Bald macht beeindruckendes Halbwissen die Runde: Von der modernen Hirnforschung und dem sagenhaften Aufnahmevermögen eines Kleinkindes, von neuronalen Netzwerken und Synapsen, die sich schließen und verbinden, von den vielfältigen Anregungen, die ein Kleinkindhirn braucht, um sich zu ungeahnten Höchstleistungen aufzuschwingen, von der erstaunlichen Mühelosigkeit, mit der Zwei- bis Vierjährige Fremdsprachen erlernen können - und von der bitteren Erkenntnis, dass wir alle nur in den ersten zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben oder auch zehn Jahren (die Angaben variieren je nach Anbieter und Interessenlage) spielend lernen und dann zunehmend dem geistigen Verfall anheimfallen. Hochmoderne Wissenschaft paart sich mit alten Weisheiten: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.
    Da drängt natürlich die Zeit, da hat man keine Muße mehr, mal in Ruhe nachzudenken, ob denn alles Gold ist, was glänzt. Dass Zwei- bis Vierjährige Fremdsprachen genauso schnell wieder vergessen, wie sie sie freudig aufgenommen haben, wenn sie nicht kontinuierlich Tag für Tag weiterlernen und üben, das beeindruckt uns in keiner Weise. Im Zweifelsfalle
ist so eine Frühförderung für die Katz, das weiß man ja, aber man weiß ja auch nie, ob es nicht doch zu etwas gut ist. Die Zeit und das Geld - wir investieren es mit gutem Gewissen. Wir geben uns gerne fortschrittlich und es ist angenehm, neue Menschen kennenzulernen und Termine zu haben, die den Alltag mit Kind etwas strukturieren. Das hat etwas von Zielstrebigkeit. Das Klima für Experimente ist exzellent.
    Und so brauchen sich findige Geschäftsleute nicht einmal zu schämen, wenn sie uns eifrigen Eltern Englisch-Kurse für Babys im Alter von drei bis 18 Monaten anbieten.
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    Â» Babys und Eltern lernen gemeinsam Lieder, Aktivitäten, Reime, Rhythmen und jede Menge über die kindlichen Entwicklungsstadien.«
    Â 
    Was sich wie ein guter Witz anhört, ist gar keiner. »Baby’s Best Start« heißt es vielversprechend auf der Website des Helen-Doron-Sprachzentrums und wird auch gern mit Broschüren in Kindergärten beworben. Wie praktisch, dass die Kinder noch nicht sprechen können und die Liedertexte nicht auswendig lallen müssen. Da ist der Leistungsdruck nicht ganz so hoch.
    Ich hätte da eine kleine Anregung: Wie wäre es denn mit Latein für Babys? Dann fällt das mit der Aussprache gar nicht mehr auf. Ich sehe schon direkt vor mir, wie mancher Leser, manche Leserin überlegt, ob das nicht tatsächlich eine gute Idee wäre. Schließlich liegen Babys den lieben langen Tag nur rum. Da kann ein bisschen Bildung nicht schaden, nicht wahr?
    Ich verfüge inzwischen über ein ansehnliches Archiv unterschiedlicher Informationsbroschüren und Ratgeber und täglich kommen neue hinzu. Nicht nur beim Kinderarzt, in Apotheken und Drogerie-Beilagen und in den gängigen Elternzeitschriften und Internetforen gibt es stets interessante Artikel und Flyer über die Möglichkeiten der frühen Förderung meines Säuglings. Nein, auch die Stadt versieht uns in regelmäßigen Abständen gerne und unaufgefordert mit den Kursangeboten der Familienbildung und Erziehungsberatung
und lässt nützliche Elternbriefe aus Berlin zu Entwicklungsphasen unseres Kindes jahrelang ins Haus flattern. Der Oberbürgermeister erinnert uns in Broschüren seit der Geburt unseres Kindes in freundlichen Grußworten immer mal wieder daran, wie wichtig die körperliche und geistige Entwicklung unserer Kinder sei und wie viel leichter unsere Kinder neue Bewegungen lernten, wenn sie über gut trainierte, koordinatorische Fähigkeiten verfügten. Anbei finden wir das Kursprogramm.
    Eines ist klar: Wir Mütter - denn wir sind es nun mal, die sich immer noch hauptsächlich um die Kinder kümmern - sind nicht nur zum Vergnügen hier. Wir müssen uns da gar nichts vormachen. Natürlich geht es dem Staat bei dem Aufruf zur Förderung unserer

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