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Mutterschuldgefuehl

Titel: Mutterschuldgefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Hartmann
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Normalen bewegt oder auf den Normkurven gefährlich hin- und herschwankt.
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    Â»Dein Kind ist aber ruhig«, sagt eine Mutter neben mir und schaut prüfend auf meine Tochter. Ich habe mein Baby auf meinen Knien liegen. Die Kleine schaut gebannt dem Schattenspiel auf meinem Pullover zu.
    Â»Ja«, antworte ich. »Sie schreit jetzt wirklich selten.«
    Die Mutter schweigt. Und nach einer Weile:
    Â»Bist du sicher, dass das normal ist? Vielleicht solltest du sie mal vom Arzt untersuchen lassen. Ist doch merkwürdig.«

    Ich schlucke.
    Â»Nö, wir waren erst neulich da. Sie ist einfach nur sehr zufrieden.«
    Die Mutter schweigt.
    Â»Na«, sagt sie plötzlich, »dafür sitzt meines stundenlang im Tragetuch ohne zu mucken.« Und wendet sich brüsk ihrer anderen Nachbarin zu.
    Â 
    Müttern ist es oft peinlich, dass sie vergleichen, weil wir die Einzigartigkeit unserer Babys anerkennen wollen. Wir leugnen es ab. Aber wir können uns noch so oft darüber lustig machen, wie blöd es wäre, Kinder miteinander zu vergleichen, »weil doch jedes Kind einzigartig« ist und jedes Kind »sein eigenes Tempo hat« und wir können noch so sehr beteuern, dass wir das niemals tun würden, weil es unwürdig wäre: Wir tun es doch. Wir schauen mit gesenktem Blick auf das Nachbarkind auf der Gummimatte und klopfen im Kopf wichtige Fragen ab. Ist mein Kind genauso weit? Kann es schon, was das da kann? Was kann meines besser? Wo muss ich aufpassen und wo kann ich beruhigt sein? Dieses Verhalten ist nicht nur natürlich, sondern bei uns modernen Müttern auch überaus hochgezüchtet. Denn wir haben ja nicht nur alle unsere Normkurven und Kinderuntersuchungshefte, sondern auch alle mehr oder weniger gewissenhaft gelernt, dass Risiko, Gefahr und Krankheit für unsere Kinder von uns selbst gar nicht früh genug erkannt werden können. Dazu haben wir ja vor und nach der Geburt die regelmäßigen Kontrollen beim Arzt. Und wenn die eine Untersuchung gerade vorbei und die andere noch in weiter Ferne weilt - was gibt es Nützlicheres als solche vergleichenden Wissenschaften in Babygruppen? Wenn sich genau jetzt, genau hier und heute im Vergleich mit anderen Babys ein eklatantes Nachzüglertum bemerkbar macht, ein Problem, eine Gefahr, ein Risiko, vielleicht sogar eine Krankheit - dann kann ich es schön erkennen und flugs einen Arzttermin außer der Reihe anberaumen.
    Die Kinderarztpraxen und Notaufnahmen sind stets voll mit besorgten Eltern und schlecht gelaunten Babys, und
manch eine Mutter, manch ein Vater ist so verunsichert, dass ein nett gemeintes »Das wächst sich aus« des Arztes als unterlassene Hilfeleistung gewertet wird. Wir trauen dem Frieden nicht so leicht. Wir sind durch eine gründliche Schwangerschaftsschulung gegangen. Da ist man nicht mehr so naiv und hofft auf das Beste.
    Je mehr Wochen und Monate ins Land ziehen, je älter die Babys werden, desto deutlicher werden die Unterschiede.
    Â 
    Â»Schaut mal«, ruft die Gruppenleiterin erfreut. »Niklas kann schon den Kopf heben.
    Wir alle gucken auf Niklas. Da liegt er fröhlich krähend auf dem Bauch, den Kopf hoch erhoben. Sein ganzer kleiner Körper ist ein einziges Kraftwerk. Er trommelt mit den Händchen begeistert auf die Matte.
    Wir schauen auf unsere Babys. Da liegen sie, auf dem Rücken, nuckeln versonnen an Fäustchen, Füßchen und Tüchern und schauen gemütlich dem strahlenden Siegertypen zu.
    Â»Ist das schlimm, dass die Emma das noch nicht kann?«, fragt die Mutter neben mir ängstlich.
    Â»Nein, gar nicht«, sagt die Gruppenleiterin. »Das kommt schon noch.«
    Aber die eine oder andere von uns hat auf einmal nachdenkliche Falten auf der Stirn.
    Â 
    Wer kann schon das Fäustchen drehen? Wer kann alsbald das Köpfchen heben? Wer liegt als Erste oder Erster auf der Seite? Wer spricht deutliche Laute? Wer reagiert geschickt am schnellsten und am besten auf das angebotene Programm, sprich Luftballons, Rasseln, Federn, Stöcke und so weiter? Und wer liegt dröge auf der Matte, schreit vielleicht sogar noch wie am Spieß und zeigt so gar kein Interesse für die Potenziale, die in ihr oder ihm schlummern? Mit anderen Worten: Wer macht seine Mutter strahlend stolz und wer gibt Anlass zu grauen Haaren?
    Allmählich baut sich Druck auf. Je deutlicher die Unterschiede werden, desto unruhiger werden wir Mütter. Wir
stupsen

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