Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mutterschuldgefuehl

Titel: Mutterschuldgefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Hartmann
Vom Netzwerk:
Ansätzen wenig anzufangen. Andere informieren sich zwar eingehend über Klassengrößen, -zusammensetzungen und Betreuungszeiten, sind aber generell vor allem an dem Ruf der Schule interessiert. Sie wollen erkunden, ob die Lehrerschaft fähig ist. Aber es gibt auch Eltern, für die diese Schulprogramme spannende Lektüre sind und die sich intensiv und gewissenhaft in pädagogische Konzepte und Kultusminister-Beschlüsse einarbeiten, um von Anfang an kompetent mit Lehrern und Schulleitern auf Augenhöhe zu diskutieren und Einfluss nehmen zu können.
    Das Phänomen dieser Art aufgeklärter, engagierter Eltern hat gerade unter Akademikern seit den Ergebnissen der ersten PISA-Studien beachtlich zugenommen, und von Studie zu Studie, von Schulreform zu Schulreform werden nicht nur einzelne Eltern immer fordernder im Schulalltag, sondern es entstehen auch immer mehr Elterninitiativen, Vereine und Verbände, die nicht bereit sind, den Lehrern ihrer Kinder und den Beschlüssen ihres Bundeslandes blind zu vertrauen. Prominentes Beispiel dieses Engagements sind die Eltern im Hamburger Schulstreit. Rund 184 000 Unterschriften sammelte die Initiative »Wir wollen lernen!« gegen die Reformpläne der schwarz-grünen Regierung, wobei »wir« natürlich nicht die Eltern sind, sondern die Kinder. Bundesweit erstmalig ergriffen deutsche Bürger damit im Sommer 2010 die Chance, in einem Volksentscheid über ihr Schulsystem selbst zu entscheiden. Die Reformpläne wurden gekippt.
    Bemerkenswert an diesem Fall ist nicht nur, wie weit Eltern inzwischen auf die Barrikaden gehen. Interessant ist auch die Ausrichtung der Initiative. Denn die Einführung einer Primarschule, die das Modell der bisherigen Grundschule ablöst und bis zum sechsten Schuljahr alle Kinder länger gemeinsam lernen lässt, erschien vielen Hamburger Eltern nicht leistungsstark genug für Kinder, die besser und leichter lernen. Sie hatten Sorge, leistungsstarke Kinder würden nicht genügend gefördert.

    Unabhängig von der Diskussion, ob diese Sorge berechtigt ist oder nicht - das Volksbegehren der Eltern zeigt einen ganz wesentlichen Wandel in unserer Nation: Die Leistungsgesellschaft hat erstens nicht nur die Erwachsenen, sondern jetzt auch mit voller Wucht die Grundschulkinder erreicht. Und zweitens scheuen sich immer mehr Eltern nicht, öffentlich zu zeigen, dass ihnen die Leistung und das Wohl des eigenen Kindes sehr viel mehr bedeutet als der Solidaritätsgedanke in einer Schulklasse. Viele Eltern denken heutzutage nicht an Gemeinschaft und Gruppenidentität, die ihr Kind in der Grundschulklasse erleben und erlernen soll. Es ist nicht ihr vorrangiges Ziel - wie es jahrelang von engagierten Pädagogen verfolgt wurde - jedes Kind mitzunehmen und keines zurückzulassen. Sondern immer mehr Eltern möchten, dass sich ihre Kinder von den Schwachen der Gruppe lösen können, um nicht von ihnen aufgehalten oder gar geschwächt zu werden.
    Nie zuvor hatten Eltern in Deutschland damit so stark das Gefühl, dass ihre Kinder in den Schulen nicht genug lernen. Und nie zuvor standen die individuelle Leistung und der Erfolg von Grundschulkindern so stark im Vordergrund wie heute.

Wunschziel Gymnasium
    Da ist es logisch, dass die meisten Mütter und Väter ihr Kind nach der Grundschule am liebsten das Gymnasium besuchen sehen, am zweitliebsten die Gesamtschule oder die Realschule, aber gar nicht die Hauptschule. Da möchte kaum ein Elternteil heute mehr freiwillig sein Kind hinschicken. Denn in unserer Gesellschaft, in der es nicht mehr Arbeit für alle gibt und die bestehenden Arbeitsplätze unsicherer denn je sind, ist ein guter Bildungsabschluss die beste Vorsorge, überhaupt Arbeit zu finden. Nach Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung (BiBB) 2010 sind 18,5 Prozent der Ausbildungsabsolventen mit Hauptschulabschluss erwerbslos, 12,3 Prozent mit Mittlerer Reife, aber nur 7,5 Prozent mit Abitur.
Ein guter Bildungsabschluss bietet in Deutschland anders als in vielen anderen europäischen Staaten die größte Sicherheit gegen Arbeitslosigkeit. Auch wenn nicht alle die Statistiken kennen, so weiß doch jeder, wie schwer es für Hauptschüler in unserem Land geworden ist, Ausbildung und Arbeit zu finden.
    Darüber hinaus berichten Medien nicht oft über Hauptschulen, an denen gute Arbeit geleistet wird, sondern häufig über Schulen, in denen

Weitere Kostenlose Bücher