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Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Interessierte die Haupteinnahmequelle der Hofkanzlei gewesen. Anton, staune über deine Mutter Fini. Ja, ich bin eine Konservative jetzt. Nicht das Alter hat das gemacht. Ich war ein Leben lang mehr krank als gesund. Zusätzlich vergiftet von den Doktoren. Meloril et cetera. Seit ich alt bin, bin ich gesund, und seit ich gesund bin, bin ich konservativ.
    Ach, Anton, Anton, Anton. Anton Parcival von Schlugen. Die Welt ist ein schöner Zusammenhang. Ist das nicht wunderbar, dass du schon wieder da bist! Letzte Woche hab ich keine Zeit gehabt. Die Recherche ist zuletzt ganz schön schwer geworden. Zum Glück funktioniert mein Gedächtnis wie eh und je. Ich kann einfach nichts vergessen. Das ist nicht nur ein Vorteil. Aber jetzt, lieber Anton, jetzt ist es geschafft. Wenn wir einmal mehr Zeit haben als heute, erfährst du alles. Alles, was ich weiß. Und das ist eine Menge. Als du letzte Woche da warst, habe ich dich draußen stehen lassen müssen. Und vorigen Monat auch. Ich wollte dich erst hereinlassen, wenn die Sucherei vorbei wäre. Erfolgreich vorbei. Rauchst du eine mit?
    Percy wehrte ab.
    Nächstes Mal bringst du deine Frau wieder mit. Und das Kleine auch. Ich bin glücklich, Anton, dass ich jetzt alles habe, was ein Leben lang gefehlt hat.
    Percy sagte: Und wie du aussiehst.
    Und sie: Ich gebe zu, dass ich mir jetzt besser gefalle als vor zwanzig Jahren.
    Wie eine Indianerin, sagte Percy.
    Wie eine alte Indianerin, sagte sie.
    Genau, sagte Percy, und dachte an die ewigen Jagdgründe.
    Stimmt es, sagte sie, dass das Kleine immer noch in die Windeln macht?
    Weißt du, wie alt es ist, fragte Percy.
    Sechs, sagte sie. Und immer noch mit Windeln.
    Percy: Heute heißen die Pampers, das ist kein Problem mehr.
    Sie: Dass deine Frau berufstätig ist, imponiert mir, du bist sicher eine gute Mutter.
    Das Kleine sagt das auch, sagte Percy.
    So redeten sie, bis Percy merkte, dass ihr die Augen zufielen. Er stand auf, holte die Urne aus dem Rucksack: Das wäre Ewald, sagte er laut. Er habe hier noch die Urne.
    Urne, sagte sie, was für eine Urne denn?
    Ewald Kainz, sagte er.
    Und sie: Der gute, gute Ewald. Stell sie dort auf die Kommode. Mir fehlen sowieso immer Aschenbecher. Dr. Curtius behauptet, ich rauche sechzig pro Tag. Er ist so lieb mit mir. Er sagt, meine geistige Energie sei buchenswert. Ich darauf: Dann buchen Sie mal schön. Ewald Kainz meinte neulich, sechzig pro Tag, das sei Selbstmord auf Raten. Ich weiß aber, dass ich hunderteins werde. Seit sie gesund, also konservativ ist, hat sich auch ihr innerer Fixsternhimmel gewandelt. Dass sie so horváthvernarrt gewesen ist, kommt ihr jetzt blödsinnig vor. Horváth kratzt doch nur an der Wäsche seiner armseligen Figuren herum. Also die Freie Nähstube in der Marquardtstraße hat sie Elke geschenkt, die seit Jahren ihre rechte Hand war. Wie sie einmal an Horváth glaubte, glaubt sie jetzt an Kleist. An seiner Empfindlichkeit und Genauigkeit prüft sie sich täglich mehr als einmal. O Unsterblichkeit, jetzt bist du ganz mein. So oder so ähnlich. Prinz von Homburg. Und weil ich eine Genauigkeitsfanatikerin bin, schlag ich’s nach und entdecke, Anton, ich entdecke, der wichtigste Zitatenschatz in deutscher Sprache, der Büchmann, kennt Heinrich von Kleist nicht, keine Zeile von Kleist, das ist ein Skandal. Zum Glück gibt’s Dr. Curtius. Der freut sich über jede Bildungslücke, die ich ihm zeige, und weiß alles, was ich wissen will, aus dem Kopf. Wenn es dir zu verraucht ist hier, kann ich sofort das Fenster öffnen. Sie habe ja gelernt in siebzig Jahren, dass man nicht immer nur an sich selbst denken dürfe. Und weil sich ihr andauernd ihre ganze Geschichte runterbete, komme auch öfter der Satz vor, dass zu Antons Zeugung kein Mann nötig gewesen sei. Er habe den Satz natürlich längst vergessen. Aber in ihrem Gedächtnis sei er ein Denkmal geworden. Bezeugend, dass man, wenn einem danach ist, keine Kühnheit scheuen müsse. Kühn sei sie immer gewesen. Die Ärzte hätten vergeblich versucht, ihr ihre Kühnheit als Krankheit einzureden. Ihm, Anton zuliebe, sei sie kühn gewesen. Kein Sohn der Welt hätte sie auf diesen Gedanken gebracht. Er aber schon. Wie er war und wirkte, das konnte kein Mann gewesen sein, Anton. Du hast das ausgestrahlt. Ich habe es verstanden. Lieber Bub, keiner ist es wert, dass ich ihn nenne. Dann der Adel! Nur ihm, ihm, ihm zuliebe hat sie alles erforscht. Anton Parcival! Du musst jetzt öfter kommen, Anton.
    Versprochen, sagte

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