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Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Proben. Richard Strauss,
Der Abend
. Sie wolle kurz vor Weihnachten so weit sein. So weit wie noch nie. So weit wie nie mehr. Dann sagte sie: Sandra!
    Und Sandra sagte: Ja.
    Ich brauche deine Meinung, sagte Elsa.
    Und Sandra sagte: Wozu?
    Elsa sagte: Sandra! Bitte! Wollen wir mit der Akademie ins Fernsehen?
    Sandra sagte: Entschuldigung. Sie habe gerade an etwas ganz anderes gedacht.
    Darf ich fragen, an was, sagte Elsa.
    Ja, schon, sagte Sandra. Sie habe daran gedacht, was ist, wenn der, der die Mutter und sie hierhergeholt hat, jetzt geht. Und schaute Percy an.
    Und?, sagte Elsa.
    Deshalb habe sie eben nicht zugehört, sagte Sandra.
    Aber jetzt weißt du, wovon wir reden, Fernsehen ja oder nein.
    Sandra sagte, sie könne da keine Meinung in sich entdecken.
    Gut, sagte Elsa, Enthaltung. Und ich sage: Nein danke. Meine Sängerinnen und Sänger können sich ein Leben nach diesem Gesang nicht vorstellen. Und ich auch nicht. Und ließ einen Ton entstehen und stärker werden. Sofort war der Raum viel größer. Durch diesen hohen, gleichbleibenden Ton. Dann ließ sie den Ton sich senken und langsam vergehen. Dann sagte sie: Senke, strahlender Gott. Am 23. Dezember. Es gebe nichts Vergleichbares. Vier Lagen, sechzehn Sänger. Die wird sie vielfach besetzen. Endlich wird nur noch gesungen. Das Singen selbst. Die Schwingung als sie selber. Der Gesang als solcher. Dagegen ist alles, was Mozart singen lässt, Boulevard. Und weil niemand etwas sagte, sagte sie: Entschuldigung.
    Und Percy: Bei wem willst du dich entschuldigen?
    Elsa: Bei Mozart.
    Dann musste Percy sagen: Mach einen Film über Innozenz, über Oblomov XI , der jeden Tag die Manuskripte erlöst, die solche, die schreiben müssen, Innozenz, dem Erlöser, schicken.
    Und Innozenz: Und warum schicken sie ihm ihre Manuskripte? Weil er im Internet mitgeteilt hat, dass er jedes Manuskript liest, bevor er es Oblomov übergibt.
    Das hat etwas Karthagisches, sagte Fred.
    Jetzt fehle der Professor, sagte Percy.
    Statt Menschenopfer Manuskriptopfer, sagte Fred.
    Das sei ihm klar, sagte Percy, aber die Transsubstantiation durch Vershreddung hätte Augustin Feinlein uns genau schildern können.
    Das kann ich auch, sagte Innozenz. Es wäre ein verbrecherischer Missbrauch der ihm geschickten Manuskripte, wenn er den Vorgang der Vershreddung der Kamera preisgäbe. Eine vernichtende Trivialisierung! Also dass Percy so etwas auch nur in Erwägung ziehen könne, verrate einen Niedergang der Percy-Mission, bevor diese Mission in Rheinau sich habe entfalten können.
    Und Percy: Ich versteh dich, glaube ich.
    Auf jeden Fall, sagte Fred, bleibst jetzt nur noch du.
    Und Percy: Das habe er, als Fred hier aufgetaucht sei, sofort gespürt, dass Fred bei ihm landen werde. Und, liebe Freundinnen und Freunde, er habe Fred gebeten, zuerst Elsa und Innozenz in Versuchung zu führen, aber er habe keine Sekunde lang daran gezweifelt, dass er dran sei. Tatsächlich bleibe ihm nach dem, was er im Pfrungener Ried erlebt und erfahren habe, nichts anderes übrig, als Freds Auftauchen hier für Fügung zu halten. Er müsse sich geleitet vorkommen. Hoffen wir, schloss er dann, dass der Verlauf und das Ende euch sagen, warum ich mitmuss. Mit Fred. Ins Fernsehen. Morgen mit der Urne nach Stuttgart, zu Mutter Fini, dann nach Merklingen zu Pfarrer Studer, dann die Wallfahrt Maria Hilf auf dem Welschenberg. Dann – das wird Dezember werden – zurück auf die Insel, zu euch. Für länger. Für viel länger. Es kann mir nichts fremder sein als das, was ich jetzt sage. Aber es kann mir auch nichts deutlicher sein als das, was ich jetzt zu tun habe. Wir sehen uns an Weihnachten wieder. Elsa, am 23. die Stimmen, der Gesang, die Schwingung selber, die Erhörung. Ich bin da, dabei. Das sagte er zu Sandra hin, weil er merkte, dass sie ihn fast ununterbrochen ansah. Ihre Augen loderten. Er wusste nicht, warum. Er musste aufstehen und sagen: Gute Nacht. Von der Tür her noch: Bis morgen. Auch das sagte er nur zu Sandra hin.
    Als er in seinem Zimmer war, war er nichts als unruhig. Er konnte sich nicht wehren gegen die Gedanken, die jetzt andrängten. Ein wildes Durcheinander. Offenbar würde er diese Nacht wach bleiben müssen. Hatte er zu viel erlebt? Wohin jetzt? Bitte, wohin? Und fand keine Bleibe. Nur Unruhe. Er musste die Unruhe Sandra taufen. Das machte sie nicht erträglicher. Wie dieses Gesicht aus übermächtigen Haaren, eher braunen als blonden, nach unten sinkt. Schmaler als das ins tatkräftige Kinn

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