Muttersohn
er.
Und die Frau bringst du mit, sagte sie.
Und das Kleine auch, sagte er.
Und sie: Ich kann dir gar nicht sagen, wie genau das passt, dass du gerade heute gekommen bist.
Geleitet, sagte Percy.
Genau, sagte sie.
Percy sagte: Bis bald, Mutter Fini, bis bald!
Und sie: Bis bald, Anton. Und weil ich eine Pedantin bin, sagte sie, nur noch dies: Komm nicht schon morgen. Es fehlt noch eine Auskunft aus Pécs. Da will mir einer aus dem Staatsarchiv beweisen, ein Schlugen sei dort Oberpostrat gewesen, und hinter seinem Namen sei vermerkt: rang nélkul, also ohne Stand oder Rang, also nicht adelig, weil Adlige niemals Oberposträte geworden wären. Jetzt muss ich dem beweisen, dass dieser Oberpostrat kein Schlugen aus unserer Linie gewesen ist. Dann ist aber auch wirklich alles klar. Ja?!
Ja, liebe Mutter Fini, alles!
Sie gab ihm fröhlich die Hand, behielt die Zigarette im Mund und tätschelte ihn mit der anderen auf die Wange.
Du hast eine glückliche Mutter, sagte sie. Endlich. Alt, gesund, konservativ, also glücklich.
O du Indianerin, sagte Percy.
Mit der Straßenbahn fuhr er hinab in die Stadt und stieg dort um in die Linie, die ihn fast bis zum Hotel Antzberg brachte.
Fred saß vor dem Computer. Der stämmige Sepp Murr und der dürre Angerpointner saßen dabei wie zwei Hunde, die Anspruch haben, endlich gefüttert zu werden. Percy erzählte ihnen alles. Dass Mutter Fini aussehe wie eine alte Indianerin. Die Haare, die sie noch hat, wie auf den Kopf geklebt. Ich werde sie jetzt öfter besuchen, sagte er. Mit Sandra.
Fred sagte: Sie muss in den Film.
Percy: Beherrsch dich, bitte.
Fred: Wie du ihr die Urne anbietest und sie sagt: Stell sie auf die Kommode, mir fehlen sowieso immer die Aschenbecher. Das ist eine Szene, Percy.
Percy: Vorabendprogramm.
Und auf sein Staunen: Bei dir gelernt.
Jetzt aufs Zimmer. Sandra schreiben. Schon den ganzen Tag flügeln mir Sätze durch den Kopf. Adieu, Fred. Adieu, Sepp. Adieu, Nikolaus. Und ging. Dass Fred staunte, tat ihm gut.
15.
Liebe Sandra,
es ist inzwischen vier Uhr morgens, die Aussicht, Dir noch schreiben zu können, schwindet. Wahrscheinlich werde ich auch diesen fünften oder sechsten Brief, wenn er geschrieben ist, in den allmählich protestierenden Papierkorb werfen. Ich komme mir gebremst vor. Gefesselt. Weil ich Dir alles sagen will, kann ich nichts sagen. Schau, als ich gestern Abend ins Hotelzimmer kam, habe ich am Spiegel vorbeigehen müssen. Spiegel waren für mich bis jetzt kein Problem. Jetzt auf einmal. Meine Oberlippe kommt nicht in Frage, verglichen mit Deiner Oberlippe. Oberlippe, das kommt mir bei Dir vor wie eine Steigerung von Lippe. Bevor Du mir nicht sagst, meine zu kurze Oberlippe stoße Dich nicht ab, kann ich in keinen Spiegel mehr schauen. Und die Ohren! Die waren noch nie so groß und auch noch nie so abstehend wie heute. Und wie ich in den Spiegel schau’, in dem Augenblick gehen meine Mundwinkel nach oben, das ist meine Routine-Reaktion auf alles. Ich bin doch das Gegenteil eines Tragikers. Wo immer ich auf Wirkliches treffe, spür’ ich: Ich bin zu leicht. Durchaus lächerlich. Und will gleich wieder klug sein und sagen: Nur wer die Lächerlichkeit eines Menschen lieben kann, kann diesen Menschen lieben. Ich möchte mich Dir ausliefern. Ich habe das Gefühl, Du könntest mit mir machen, was Du willst. Dann würde ich mit Dir machen, was ich will. Wir könnten mit uns machen, was wir wollen. Sandra. Ich kann überhaupt an nichts mehr zweifeln. Außer an meiner Oberlippe. Darum liebe ich Dich so. Du hast, was mir fehlt. Deine Oberlippe! Und Deine Unterlippe! Wenn ich Dich hätte, wäre ich sofort nicht mehr so arm. Ohne Dich bin ich tatsächlich arm. Bisher habe ich bloß Väter adoptiert. Jetzt will ich Dich adoptieren. Dich spüren. Verführen. Und Du musst mich archivieren. In Dir. Für immer. Mutter Fini glaubt, wir hätten schon ein Kind. Du! Du atmest aus, ich atme ein, was Du ausatmest.
Jetzt stammen wir übrigens nicht mehr aus Gellnau und Duznau, sondern aus Transsilvanien. Haben mit Schafen, Pferden, Büffelkühen gewirtschaftet. Ich hoffe, das magst Du. Und jetzt schicke ich Dir einfach diesen Brief. Und grüße Dich aus tausendundeiner Verlegenheit:
Der Anton Parcival.
16.
Auf dem Weg von Stuttgart nach Merklingen erzählte Percy, was ihn mit Pfarrer Studer verband. Lebensrettung, Berufswahl und Fräulein Hedwig. Fräulein Hedwig, der erste Mensch, dem er sagen konnte, dass seine Mutter ihm gesagt habe, zu
Weitere Kostenlose Bücher