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Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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seiner Zeugung sei kein Mann nötig gewesen. Und weil Fräulein Hedwig nicht staunte oder lachte, sondern seine beiden Hände nahm und sagte, ihr sei Percy gleich vorgekommen wie einer, der anders sei als andere, deshalb konnte er später diesen Umstand gelegentlich weitersagen.
    Zum Beispiel in unserer Talkshow, sagte Fred. Dann sagte er: Diese Szene, Weihnachtswald, von einem Auto in den Straßengraben geschleudert und durch den Hut am Stock von einem Pfarrer gerettet, diese Szene möchte er im Film nachstellen.
    Percy sagte: Du musst versuchen zu begreifen, dass das Leben nicht imitierbar ist.
    Da waren sie wieder bei ihrem Thema. Fred ließ Nikolaus Angerpointner überholen. Percy sah, dass Sepp Murr filmte. Dem Gewichtheber machte es offenbar nichts aus, mit der großen Kamera im fahrenden Auto herumzuschwenken. Dann zog Fred wieder an denen vorbei.
    Fred sagte, daran müsse Percy sich gewöhnen. Die beiden drehten Tag und Nacht. Er mit Percy sechs Stunden auf der Patiententerrasse, das sei natürlich gedreht worden. Mit Ton. Aber nichts komme zur Welt, was Percy nicht zur Welt kommen lassen wolle.
    Percy sagte: Wenn er das erste Mal so etwas Aufgezeichnetes sehen und hören werde und er sterbe nicht sofort vor Scham, dann könne eine vielleicht neue Epoche beginnen. Er hoffe immer noch, dass er, wenn er da Zeuge seiner selbst werde, entweder sofort sterbe oder doch einen Schock erleide, der ein für alle Mal dafür sorge, dass dergleichen kein zweites Mal stattfinde.
    Und rief: Lohengrin.
    Fred rief: Der passt zu dir.
    Und schaltete ein.
     
    Pfarrer Studer sagte: Gott segne deinen Eintritt. Und als er hörte, dass Fred Friedrich, Sepp Murr und Nikolaus Angerpointner vom Fernsehen seien, sagte er ein bisschen leiser, aber eher gehemmt als kritisch: Auch euer Eintritt sei gesegnet. Weil Percy den Pfarrer als Chrysostomus Studer vorgestellt hatte, wollte Fred gleich wissen, wie ein Mensch heute noch so heißen könne. Der Pfarrer sagte, so habe ihn sein Vater taufen lassen. Er, der Pfarrer, wisse nicht, ob sein Vater gewusst habe, dass der Name auf Deutsch Goldmund heißt. Aber dass es ein Bischof in Byzanz war, hat er gewusst. Ein Bischof, der gegen Kaiser und Kaiserin, gegen den ganzen Klüngel gekämpft habe, heute würde man sagen: für die Menschenrechte. Fred: Den sollte man zum Patron des Fernsehens machen.
    Pfarrer Studer sagte, er müsse jetzt endlich mitteilen, dass Fräulein Hedwig im Krankenhaus sei. In Ulm. Percy ging zu Chrysostomus hin, lehnte seine Stirn an dessen Schulter und sagte: Nicht schon wieder. Was ist das für eine Tendenz, dass die Menschen, die in meinem Leben etwas bedeuten, jetzt wegsterben. Einer nach dem anderen. Chrysostomus sagte, in der Kirche werde jeden Abend für Fräulein Hedwig gebetet.
    Percy sagte, er werde sie morgen besuchen.
    Und der Pfarrer: Es ist Krebs, aber die Ärzte setzen auf die Chemotherapie.
    Als Chrysostomus erzählen wollte, wie er und Percy zusammengekommen seien, und Percy sagte, das habe er Fred schon alles erzählt, fragte Pfarrer Studer: Das mit dem Gratulieren auch? Percy wusste nicht, was er meinte. Das hat er doch geahnt, rief Pfarrer Studer. Das Wichtigste lässt Percy weg. Und erzählte, dass Percy, als er damals in den Notarztwagen geschoben worden sei, ihm eine Hand hingestreckt habe und gesagt habe: Ich gratulier’ Ihnen. Das kommt dem Pfarrer komisch vor. Wieso er mir? Ich ihm. Dazu, dass er gerettet worden ist. Aber der Verunglückte sagt: Weihnachtsabend! Ich gratulier’ Ihnen dazu, dass Sie mich gerettet haben. Überlegen Sie sich’s, dann kommen Sie drauf. Der Pfarrer hat sich’s überlegt, ist draufgekommen und hat dann an Dreikönig darüber predigen können.
    Das muss in den Film, sagte Fred.
    Percy zum Pfarrer: Er glaubt, man könne alles nachmachen. Für ihn gibt’s nichts Einmaliges. Die ganze Welt ein Imitat.
    Als der Pfarrer sie dann zu ihren Zimmern führte, wunderte sich Fred über den langen Gang, die vielen Türen. Die Pfarrei habe früher zum Kloster Scherblingen gehört, sagte der Pfarrer. Im Pfarrhaus, das sich neben der Kirche hinzieht und fast so lang ist wie die Kirche selbst, sei Klostergut verwaltet worden. Als er hier vor dreißig Jahren eingezogen sei, sei er mit Rollschuhen durch die Gänge gebraust. Percy schaute Fred an und sagte: Das muss in den Film.
    Fred: Alle Achtung! Du lernst schnell!
    Percy: Tut mir leid. War Ironie.
    Fred zu Pfarrer Studer: Er ist unmöglich.
    Der Pfarrer: Gott sei Dank.
     
    Auf der

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