Muttersohn
ich Ihnen das Mikro hielt, nicht angeschaut. Türkisene Augen haben Sie also. Wenn ich Sie treffe, werde ich rebellisch gegen Sie. Und das wird schon Gründe haben. Der natürliche Zustand des Menschen ist Lust. Habe ich gelesen. Verzichten habe ich schon oft müssen. Immer auf die gleiche Art. Darin sollte ich Übung haben. Wenn ich dabei nur nicht immer in so einen schier unerträglichen Zustand kommen würde. Das ganze protzige Frühjahr hindurch keine Linderung, keine Hand, die mich heilend anfasste. Ich fand mich wieder nur auf Sie eingestellt.
Nur dass Sie’s wissen. Ich will mit Ihnen schlafen. Ihre Frau ist mir völlig egal! Falls Sie eine haben. Sicher haben Sie eine. Mir egal. Ich will nichts als das: mit Ihnen schlafen. Mein Mann ist ein Trinker. Und homosexuell. Und mich nennt er manisch-depressiv. Ich werde Frau Dr. Gern fragen, was das heißt. Nur dass Sie’s wissen.
Sie sind mir zu arrogant. Ich weiß nicht, was Sie mit Ihrer Dialektik über mich bestimmen. Sie sind mir zu wenig naiv. Ich glaube Ihnen nicht, dass Arbeiter Ihre Brüder sind. Wenn ich mit Ihnen in einem Zimmer wäre, würden mir die Worte fehlen. Sollte ich mich vor Ihnen blamieren? Erwarten Sie das von einer Arbeiterin? Ich weiß, als was Sie sich verstehen. Auch muss ich sagen, jeder Brief an Sie ist, als ob er der letzte wäre. Nur dass Sie’s wissen. Sie zwingen mich durch Ihr Auftauchen und Verschwinden, einen Standpunkt zu suchen für mich. Was ich je gedacht und gefühlt habe, passt nicht mehr. Warum können Sie nicht meine Gedanken fühlen? Warum muss ich immer alles zuerst aufschreiben? Beim Schreiben geht so viel verloren. Meine Gefühle bestimmen mein Leben, mein inneres und mein sichtbares, und meine Gefühle, das sind Sie. Nicht lachen. Über eine Volksschülerin lacht man nicht. Dass Sie nicht mein Wunscherfüllungsgehilfe sind, werde ich mir schon noch beibringen.
Nur dass Sie’s wissen. Manchmal denk ich einen Tag lang nichts. Also auch nicht an Sie. Würde ich Sie kennen, gäbe es nicht dieses Verlangen, dieses erregend wunderbare. Säßen Sie mir jetzt gegenüber, es gäbe kein Verlangen. Zu sagen hätte ich nichts, schön oder reizvoll bin ich auch nicht mehr. Der Kellner, der mich hier bedient, schaut misstrauisch her, weil ich auf der roten Tischdecke schreibe. Und beim Servieren schaut er mir aufs Papier. Er ist verheiratet. Ich möchte jetzt Salome lesen von … jetzt fällt mir der Name nicht ein. Ich blamier’ mich so gern vor Ihnen. Kennen Sie dieses Verlangen, das nie endet und nie gestillt werden kann?
Nur dass Sie’s wissen. In Tettnang samstags beim Tanzen, die Kerle konnten nichts sagen, zittern schon, aber nichts sagen. Heiratsanträge stottern, das ging, ich fing an, Tagebuch zu schreiben, die Mutter hat
Heim und Welt
abonniert, ich las die Witze, die Mutter die Heiratsanzeigen.
Nur dass Sie’s wissen. In Behandlung. Die Tabletten helfen nicht. Die Kündigung kommt per Einschreiben. Nachträglich. Als ich morgens ins Geschäft kam, hatten sie einen Italiener eingestellt. Für mich. Also eine Wohnungssuche mit Arbeitslosengeld, nee? Da nimmt mich kein Hausbesitzer. Kein Mann, keine Arbeit, keine Wohnung. Herr Fränkel, schlau, meldet Eigenbedarf an. Ich muss lachen. Umbringen werde ich mich noch nicht. Ich will selber sehen, wie das weitergeht. Mein Mann hat recht gehabt: Du bist zu dumm zum Leben. Ich bin nur froh, dass mir nach Lachen zumute ist und nicht nach Weinen.
Nur dass Sie’s wissen. Ich war noch nie mit einem Mann zusammen. Einmal mit Ihnen, sei’s nur eine Nacht. Ich schäme mich nicht mehr. Ihre Hand zwischen meinen Schulterblättern. Wem nehme ich da was weg? Gestern Abend das Gefühl, Sie umgebracht zu haben. Wie Sie dann da lagen. Halb offen Ihr Mund. Um die Augen tat es mir leid. Jetzt bin ich ruhig, weil ich ausgesprochen habe, was ich möchte. Schon seit Januar 73 möchte. Kann ich auf menschliche, männliche, ehrliche Antwort hoffen, oder beleidige ich Sie damit? Mit dieser Selbstverständlichkeit? Wo leben wir denn!
Nur dass Sie’s wissen. Sehnsucht ist etwas Brutales. Wenn Ihre rechte Hand zwischen meinen Schulterblättern liegt, dort meine Haut berührt … das ist das Problem und der Grund des Schreibens. Ja, ich muss beschämt lachen, meine Haut ist fettig, ein bisschen schon wie eine Schwarte, dort, wo Ihre Hand hinkommt. Das muss ich Ihnen einfach mitteilen. Das ist der Grund allen Schreibens. Ich erwarte Ihre Hand natürlich nicht.
Nur dass Sie’s wissen.
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