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Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Reihe. Sie gingen. Blieben im Haus. Im ersten Stock in der Prälatur war ein Vesper für sie vorbereitet. Alles aus der eigenen Produktion.
    Wenn du nicht so jung wärst, sagte der Professor, würde ich dich Sokrates nennen.
    Eine Redeformel des Professors nachmachend, sagte Percy: Etz kumm!
    Ich meine deine Tugend des Unvorbereitetseins, sagte der Professor. Sokrates sagt, hör zu: Auch würde es sich ja schlecht ziemen, ihr Männer, in solchem Alter gleich einem Knaben, der Reden vorbereitet, vor euch hinzutreten.
    Dann sagte er: Tu autem.
    Percy ging. Wie es sich gehörte.
    Auf seinem Zimmer ein Brief. Von Dr. Bruderhofer. Er las: Lieber Anton Percy Schlugen, Eva Maria, meine geliebte Frau, feiert heute ihren Geburtstag. An diesem Tag will auch ich nichts anderes feiern als ihren Geburtstag. Nur darum muss ich heute darauf verzichten, Ihr Zuhörer zu sein. Das bedaure ich.
    Mit freundlichen Grüßen, Ihr Dr. Heinfried Bruderhofer.
    Percy las den Brief mehr als einmal. Am Fenster stehend las er ihn. Und auf einmal las er die Anrede so:
    Lieber Anton Percy von Schlugen.
    Nichts konnte deutlicher sein als das Gefühl, dass dieses
von
, wenn es nicht da stünde, fehlen würde. Und dachte natürlich an Mutter Fini. Und wenn er an Mutter Fini dachte, dachte er: dem Leben zuliebe. Später, an diesem Abend, kam die Angst zurück. Du bist zu wenig negativ, noch nie ist jemand ohne Verneinung ausgekommen, ohne Verneinungskraft wirst du nicht ernst genommen. Du musst Verneinen lernen. Und stand auf und sagte zur Wand hin, als wäre das ein Publikum: Ich verneine die Verneinung.
    Und es blieb als eine Art Glücksgefühl, dass er heute, sooft er auch zu den Leuten hingeschaut hatte, immer so hingeschaut hatte, dass er keinen Einzigen wahrgenommen hatte. Er wusste nicht, wer da gewesen und wer nicht da gewesen war. Zum Glück.

12.
    Talkshow
     
    Susi: Meine Damen und Herrn, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer zu Hause, jetzt wird es, wenigstens für mich, riskant. Da Fred und ich es immer so halten, er spricht mit den weiblichen, ich mit den männlichen Gästen, deshalb darf also, soll also, muss also ich mich mit Herrn Anton Schlugen, genannt Percy, beschäftigen. Ich hoffe, die Unterhaltung mit Herrn Schlugen, genannt Percy, wird zeigen, warum ich sage, jetzt wird’s, wenigstens für mich, riskant. Andererseits, was wäre ein Leben ohne Risiko. Einverstanden, Herr Schlugen?
    Percy: Mutter Fini hat zu mir gesagt: Du bist ein Engel ohne Flügel. Das hat für mich geheißen: Du wirst zwar nie fliegen, aber auch nie abstürzen. Also kein Risiko weit und breit.
    Susi: Da sind wir ja schon mittendrin. (Sie schaut auf einen ihrer Zettel.) Aber fangen wir vorne an. Warum genannt Percy?
    Percy: Das hat Mutter Fini so gewollt.
    Susi: Hat sie Ihnen gesagt, warum?
    Percy: Percy Sledge.
    Susi: Der Soulsänger der siebziger Jahre.
    Percy: Genau.
    Susi: Ist das auch Ihr Musikfavorit geworden?
    Percy: Ich empfinde nichts gegen Percy Sledge …
    Susi (schnell dazwischen): When a man loves a woman.
    Percy: Richtig. Aber es ist nicht meine Musik.
    Susi: Was ist Ihre Musik?
    Percy: Ich bin ausgebildet worden in der Pflegerschule des PLK Scherblingen.
    Susi (schnell dazwischen): Psychiatrisches Landeskrankenhaus.
    Percy: Genau. Der Chef, Professor Dr. Dr. Augustin Feinlein, bei dem ich nebenher Latein und Orgelspielen gelernt habe, ist daheim in der Kirchenmusik des 18. Jahrhunderts. Ein Vorfahr von ihm war in Scherblingen, als es noch Kloster war, Prämonstratenser-Kloster, Abt und hieß als solcher Eusebius. Es heißt, solange er Abt gewesen sei, sei es bei der Aufnahmeprüfung wichtiger gewesen, ein Instrument spielen, als Latein zu können. So bin ich halt auch in diese Musik hineingekommen.
    Susi: Sie wissen schon, warum wir Sie in diese Talkshow eingeladen haben?
    Percy: Du wirst es mir sagen.
    Susi: Sie haben, als es uns gelungen war, herauszubringen, wo Sie wohnen, obwohl das wahrscheinlich schon übertrieben ist zu sagen, dass Sie da und da wohnen, aber als wir Sie erreicht hatten und Sie einluden, haben Sie einfach zugesagt.
    Percy: Sollte ich nicht?
    Susi: Und Sie wissen, warum wir Sie in unserer Talkshow haben wollten?
    Percy: Ich ahne es.
    Susi: Und was ahnen Sie?
    Percy: Weil ich manchmal, wenn ich irgendwo spreche, erwähne, dass Mutter Fini mir gesagt habe, zu meiner Zeugung sei kein Mann nötig gewesen.
    Susi: Richtig. Jetzt die Frage, die mich plagt, seit ich weiß, dass ich mit Ihnen sprechen darf, soll, muss: Glauben

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