Muttersohn
bin.
(Publikumsreaktion.)
Fred: Noch eine letzte Frage, Percy, die steht auch nicht auf dem Zettel, die stell ich aus … aus … eigenstem Bedürfnis. Percy, gibt es ein Leben nach dem Tod?
Percy: Immer wenn ich darüber nachdenke, lande ich bei der Gewissheit, dass meine Hosenträger unsterblich sind.
(Das Publikum stimmt zu mit Lachen und Klatschen.)
Fred: Und wir bedanken uns bei Anton Schlugen, genannt Percy, für sein geiles Gastspiel in unserer Show.
Percy: Ich habe euch zu danken.
(Wieder Beifall.)
(Die Talkshow widmet sich dem nächsten Gast: eine Frau, die mit Schlangen lebt und zwei dabeihat, die sie mit Zischlauten lenkt.)
1.
Meine Mutter hat mich, als ich drei Tage alt war, mit dem Kissen zugedeckt und das Kissen auf mein Gesicht gedrückt, um mich zu ersticken. Das ist ihr nicht gelungen. Also hat sie mich – ich wurde am 1. Januar geboren – ans offene Fenster gelegt. Erst, als auch daraus nichts wurde, hat sie mich im Fürsorgeerziehungsheim Oberbieber bei Neuwied am Rhein vor die Tür gelegt. Da bin ich, weil ich nicht das zweifelhafte Glück hatte, Adoptionswilligen zu gefallen, geblieben, achtzehn Jahre lang, habe in der heimeigenen Werkstatt eine Schreinerlehre durchgezogen, dann aber hinaus, die Mutter gesucht. Und gefunden. In Mainz. Sie war gerade am Sterben und konnte mir noch sagen, was sie mit mir vorgehabt hatte. Sie habe mir dieses Leben ersparen wollen, sagte sie. Für diesen Satz habe ich sie gestreichelt. Sie lächelte. Und starb.
Wir Bettnässer mussten die Laken, die wir selber gewaschen hatten, mit ausgestreckten Händen am Heimtor in die Luft halten. Barfuß bis in den November. Für eingefangene Ausreißer gab es Glatzeschneiden. Wer beim Ährenauflesen barfuß nicht spurte, kriegte von Pfarrer Fangmüller die Stockbehandlung. Pfarrer Fangmüller war alles in einer Person. In den Gesangsstunden brüllte er los, wenn das Singen ihm nicht genügte. Staatskrippenfresser, Parasiten. Aber am Sonntag auf der Kanzel war er großartig, mitreißend. Auch sich selber riss er mit. Weinte und holte umständlich ein riesiges rotes Taschentuch mit weißen Punkten unter seinem Pfarrerhabit hervor und wischte die Tränen ab, die er hatte vergießen müssen, weil er so toll gepredigt hatte. Keine Predigt ohne den Satz: Das Leben ist eine Sackgasse. Dann kam, dass es mit Hilfe Christi keine Sackgasse mehr ist. Wie das ging, habe ich vergessen. Dass es eine Sackgasse ist, ist mir geblieben.
Zweimal habe ich selber versucht, mir diese Sackgasse zu ersparen. Beim Blaubeerenpflücken mit der scharfkantigen Sammelbüchse übers Handgelenk und, als Ausgerissener, hoch vom Baum gesprungen. Zweimal missglückt. Wie jetzt das dritte Mal auch. Zum Leben verurteilt. Lebenslänglich.
Abendabitur. Finanziert durch die Betreuung kriegsverletzter vietnamesischer Kinder. Phosphorbrandbombenverletzt, weggeschossene Beine. Tübinger Student, erfolgreich wie noch nie, bis der Oberschulamtspräsident Weiß am 1. 2. 1974 befindet: Das Oberschulamt sieht sich nicht in der Lage, Sie, Ewald Kainz, einzustellen. Zweimal in die DDR gereist, Spartakus-Kandidat bei den Wahlen zum Großen Senat der Universität. Die Zweifel an Ihrer Verfassungstreue können auch durch Ihre Erklärung, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten, nicht zerstreut werden. Ohne Effekt, dass Eltern und Kinder des Mössinger Quenstedt-Gymnasiums für den Studienreferendar Ewald Kainz ans Kultusministerium schrieben, weil er doch über das Erwartbare und Verlangbare hinaus Lehrer, ein sehr beliebter Lehrer gewesen sei. Was hat er alles mit der Musik- AG hervorgebracht. Nein danke. Der Präsident Weiß vom Oberschulamt in Tübingen hat allein das Sagen. Und der sagt: Nein. Postboten, Lehrer und andere nach Paragraph 6, Abs. 1, Nr. 2, LBG . Das war’s. Dann demonstrierte ich. Überall herum. Erfolgreich und wirkungslos. Ja, wunderbare Mädchen hielten mir in der Winterkälte das Mikro vor den Mund, dass ich meinen Text aufsagen konnte. Jedes Denken, sagte ich, das alles auf eins zurückführt, ist Ideologie, weil das, was sich nicht fügt, durch die Idee so lange gebogen wird, bis es die Idee bestätigt. Wenn Wirklichkeit, um begriffen zu werden, vorher durch eine Idee verändert werden muss, begreift man nachher nicht die Wirklichkeit, sondern die durch die Idee präparierte Wirklichkeit. Das heißt, die Idee begreift sich selber. Wenn die Geschichte nichts ist als die Geschichte des
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