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Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Nicht meine Geschichte. Mir muss angesichts der immerwährenden Frauenpräsentation Mutter Fini einfallen. Eine Kindheit lang war ich Zeuge, wie Mutter Fini gelitten hat. Sie hat einen Mann geliebt, den sie nicht erreichte. Hat bei mir bewirkt: Meinetwegen soll nie eine Frau leiden. Jetzt tappe ich jeden Tag durchs Mädchen- und Frauendickicht. Kein Schritt möglich ohne gewaltiges weibliches Entgegenkommen. Die Welt kann noch nie so von Prachtsmädchen überflutet gewesen sein wie jetzt. Noch nie können Mädchen so schön gewesen sein wie jetzt. Ich fühle mich andauernd attackiert, ohne dass die, die mich attackieren, das wollen oder auch nur wissen. Ich bin andauernd hingerissen. Und weiß: Wenn ich der nachliefe, erfolgreich nachliefe, müsste ich wegen der nächsten, die genauso ungeheuer ist, die sitzenlassen, bei der ich gerade gelandet bin. Und so weiter. EINE wollen ginge nur, wenn man die anderen nicht wollen müsste. Muss man aber. Ich fühle mich andauernd angezogen, hingerissen, von jeder, zu jeder, ich kann, ohne Unheil anzurichten, nur existieren, wenn ich immer alle bewundere und bei jeder Einzelnen immer an alle denke. Das klingt jetzt schon ganz schön falsch. So, als stünden mir, wenn ich nur wollte, alle zur Verfügung. Eher das Gegenteil. Diese alle Wünschbarkeit übertreffenden Erscheinungen sind, bevor sie etwas anderes sind, eine Einschüchterungswucht. Jede hat etwas Schönes, was nur sie hat. Wie sie auftritt, signalisiert sie zuerst einmal, dass sie bestimmt, was möglich ist und was nicht. Sie erobert, nicht du. Das ist der normale alltägliche, andauernd erlebbare Mädchenimperialismus. Wer mich kriegt, das bestimmt sie! Und wenn sie will, dass du in Frage kommst, dann schlägt die Stimmung um: Ist sie die, die du nicht mehr verlassen wirst? Darfst du die, die dich mit einem Hauch von Bereitwilligkeit anschaut, damit bestrafen, dass du ihr etwas sagst, was du auch zu einer anderen gesagt hättest! Das müsste ich mir übelnehmen. Und sie müsste es mir auch übelnehmen, dass sie eine Stelle ausfüllt, die auch eine andere hätte ausfüllen können.
    Fred: Und wenn sie dir sagt: Es könnte auch ein anderer sein.
    Percy: Das müsste ich hoffen.
    Fred: Kann man sagen: Du wartest auf eine, bei der du für immer bleiben möchtest.
    Percy: Ich möchte bei jeder für immer bleiben. An der Schwarzen im eng anliegenden, sie in hellen und dunklen Streifen nachfahrenden Pelzmantel, auf Schuhen, unter denen der Kontinent bebt, an der komm ich doch nicht vorbei, ich schau sie an und komme vorbei nur, weil jetzt zum Glück die ruhigste Blonde Mitteleuropas so sanft daherschwebt oder -schwingt, dass du glaubst, sie tut überhaupt nichts selber, sie geschieht einfach direkt vor dir und deinetwegen. Eine Lippenentfaltung, eine Zähneentblößung. Wenn du diesen Mund überlebst, kann dir nichts mehr passieren. Denkst du. Aber da passiert schon die nächste. Zum Glück. Wenn nicht immer eine die andere auslöschen würde, wäre es nicht auszuhalten.
    Susi (soufflierend): Ingwer.
    Fred: Ingwer?
    Susi: Ich habe auf meinem Zettel als letztes Fragestichwort Ingwer.
    Fred: O ja. Percy, wenn du in Gesellschaft wärst, Party der feineren Art, die Dame des Hauses hat zum Schluss eine Schale mit Ingwer herumgereicht. Jetzt bist du dran. Sie sieht, dass du zögerst. Dann sagt sie: Kandierter Ingwer ist ein Aphrodisiakum. Was sagst du dann?
    Percy: Dann nehm ich zwei.
    (Das Publikum lacht.)
    Fred: Noch eine Frage, Percy. Die steht nicht auf dem Zettel. Mich interessiert das einfach, wie du das machst, dich nie vorbereiten. Dann sprichst du, dann fällt dir aber ein, was du schon einmal dann und dann gesagt hast. Oder sagst du jedes Mal was ganz Neues?
    Percy: Nie was Neues. Alles, was mir einfällt, gibt es schon. Das gibt mir beim Sprechen eine Leichtigkeit, beinahe hätte ich gesagt: eine vollkommene Leichtigkeit, wenn ich spüre: Das gibt es alles, du musst es nur kommen lassen. Die Welt ist ein einziges Angebot. Wehr dich nicht. Sie will durch dich zu sich selber kommen. Und so weiter.
    Fred: Meine Damen und Herren, jetzt wissen Sie, wie man Spontanist wird.
    (Das Publikum will sich beifällig zeigen.)
    O ja, Percy, das auch noch: Dürfen wir deine Anschrift oder überhaupt mitteilen, wo du erreichbar bist? Ich sehe voraus, dass unsere Zuschauer dich nicht gleich wieder entbehren wollen. Also, wo?
    Percy: Ich kann zwar nicht sagen: Ich bin, der ich bin. Aber sagen kann ich: Ich bin, wo ich

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