Muttersohn
Schlimmer als die Schulden, Schulden auf ihren Namen, schlimmer war, dass er mit allen Damen und Frauen, denen er das Instrument stimmte, auch schlief. Aber die Kinder – zwei, zwei Töchter – hingen an ihm. Er war ein hingebungsvoller, von Märchenhaftigkeit jeder Art überströmender Vater. Es ist zwischen Sandra und Laura eine nie mehr zu schlichtende Feindseligkeit entstanden, ein Streit um seine Gunst. Wen mag er lieber. Laura, die jüngere, aber viel kräftigere, fing an, Sandra zu schlagen, zu verprügeln, wenn sie fürchten musste, dass Sandra in ihrer immer verträumten Art vom Vater deutlichere Liebesbeweise erntete als sie. Adalbert landete zuerst in Südtirol. Eine Karte kam aus Südtirol. Kellner in einem Gasthof in vierzehnhundert Metern Höhe. Sobald er das Geld, das er schulde, verdient habe, komme er. Bitte, reich die Scheidung ein, ich bin mit allem einverstanden. Dein Adalbert. Dann nichts mehr. Die Scheidung glückte. Die Schulden hat sie nur bezahlen können, weil ihre Großmutter starb und ihr Geld hinterließ. Berti sei ein Lump. Immer gewesen. Darum gehe es ihm gut. Immer. Das sei die höhere Gerechtigkeit in der Welt, dass es einem, der ein Lump ist, dann wenigstens gutgehe in der Welt.
Am Morgen unserer Hochzeit sagte Elsa zu ihren Töchtern, die gerade zwölf und vierzehn Jahre alt waren: Ich habe euch mehr als einmal gesagt, nie einen Mann heiraten, der schnarcht, und nie einen, den ihr liebt. Und was tu ich, ich heirate einen Mann, der zwar nicht schnarcht, aber ich liebe ihn. Als sie das so sagte, wusste ich, dass ich sie nie verlassen würde.
Sandra und Laura überboten einander in Zustimmung. Ich hatte mich allerdings bei beiden eingeschmeichelt. Ich hatte mich in ihre Probleme hineingefragt und ihnen das Gefühl gegeben, dass ihre Probleme wichtiger seien als alle Probleme der Welt. Dass ich keinesfalls beide erreicht oder gar von mir überzeugt hatte, stellte sich bald heraus. Sandra hat mir verständlich gemacht, wie mit ihr zu reden sei. Ich musste umlernen. Laura ließ mich bei jedem Zusammenkommen spüren, dass meine Verstehensfähigkeit ihr Verneinungsniveau nicht erreiche.
Am Hochzeitstag ging’s mittags hinunter in den Ort. In der Schloss-Wirtschaft sang ein Chor aus Elsas zwei Chören. Das waren das Vokal-Ensemble Wangen und der Chor Talentissimo aus Ravensburg. Und sie sangen aus Haydns Jahreszeiten, Frühling und Sommer.
Mich plagte die Angst, es könnte plötzlich jemand aus meiner Vergangenheit auftauchen und übles Zeug daherreden. Heimzögling, Kommunist, Berufsverbot, Sonderschulpauker … Es kam niemand. Aber abends brauste ein anderer Chor den Kapellenberg herauf. Mein Chor. Von meinen Motorradkursen waren allmählich zehn Schüler an mir hängengeblieben. Zum Motorrad gehört ja die Gruppe. Aber mehr als elf durften wir nicht werden. Das machten wir ab. Würde einer ausscheren, konnte wieder einer kommen. Auf unserer schwarzen Lederkluft steht: German Insiders. Darunter: Frei-Chor e.V. Das hatte ich Elsa längst gesagt, gestanden. Immer am Freitagabend der Verein. Im Wald hinter Pfrungen. Unser Heim. Mit Grillen, Blödeln und Gesang. Elsa und ich fanden es anheimelnd, dass wir beide Chöre hatten. Sie mehrere, ich immerhin einen. Was heißt: ich! Es war Giacomo. Ohne Giacomo kein Chor! Ich hatte Giacomo entdeckt. Ich fuhr die 31 Kehren des Rohrach hinauf – zwischen Lindau und Scheidegg –, komme hinter einen, der die Kurven lustvoll nimmt. Und das mit zwei riesigen, prallvollen Satteltaschen, und auf dem Sozius einen Riesenkoffer, der auch in den schrägsten Kurvenlagen rätselhafterweise hält. Ich kenne das Rohrach auswendig. Meine Sicherheitskurse müssen immer das Rohrach bestehen. Es gibt zwischen den Kurven immer wieder mal kurze Geraden. Da wollte ich diesen Fahrer überholen. Er merkte es. Und ließ mir keine Chance. Droben, kurz vor Scheidegg, fuhr er rechts ran. Georg – Ewald. Dann die fälligen Komplimente. Ich: Ducati! Er: Monster! Ich: Naked Bike! Er: Du kennst dich aus. Ich: Mein Beruf. Er: Du kurvst ganz gut. Ich: An dein Schräglagenpotenzial komm ich natürlich nicht ran. Er: In jeder Geraden hängen mich deine 100 PS glatt ab. Ich: Wie viel hast du? Er: Frisiert auf 91. Und jeder klopfte dem anderen auf den Lenker.
Alle anderen im Verein sind zwanzig oder dreißig Jahre jünger als ich. Giacomo, der da noch Georg hieß, höchstens elf oder zwölf.
Eine Bedingung meiner Kurse: Ich wollte von keinem, der bei mir lernte, wie man
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