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Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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steigen, richtete sich dabei auf, bis der Arm senkrecht in die Höhe zeigte und die blonde Flut wieder auf die Schultern fiel. Giacomo verbeugte sich eher spielerisch.
    Ich war dann doch froh, dass meinen Buben diese Überraschung eingefallen war. Ich hatte Elsa alles erzählt, was es zu erzählen gab. Unsere Treffen, unsere Fahrten, unsere Feste im Stadel, der unser Heim ist. Jetzt sah sie wenigstens, was für prachtvolle Kerle das waren, meine German Insiders, alias Frei-Chor. Und die waren gekommen, um zu singen. Sie wussten ja, dass ich eine Chorleiterin heiraten wollte. Sie sangen
Die Legende von den zwölf Räubern
. Das hatte Giacomo mit ihnen einstudiert. Ich kannte es noch nicht. Eine russische Volksweise sei es, sagte Giacomo. Und gab den Einsatz. Aber er stand nicht vor seinen Sängern, sondern unter ihnen. Sie sahen ja seine dirigierenden Hände. Vor allem: Sie hörten ihn. Seine Tenorstimme führte den Gesang wie ein Licht in der Nacht. Zwölf Räuber hausten im dichten Wald, ihr Hauptmann hieß Kudejar, viel Christen starben durch ihre Hand. Sie raubten und mordeten, bis eines Nachts Gott selber im Hauptmann das Gewissen weckte. Schluss war’s mit Rauben und Töten. Ins Kloster ging der Hauptmann, Gott und den Menschen zu dienen.
    Alle, die jetzt noch da waren, begriffen, meine Motorradfahrer sahen in meiner Ehe das Kloster, in das ihr Hauptmann ging. Ich glaube, ganz ohne feuchte Augen überstand keiner und keine die innige Mär. Laura wollte gleich auf Kondors Maschine übernachten. Sandra kletterte auf Katzes Sitz. Dass er seine Maschine angeblich mit einer Hand heraufgelenkt hatte, das zog sie an.
    Ich versprach vor Zeugen, dass ich weiterhin zum Frei-Chor gehören wolle. Giacomo drückte mir die Hand so ernst wie noch nie. Ihm war’s ein Anliegen. Tatsächlich habe ich seit dem keinen unserer Freitagstermine versäumt. Am Freitagabend probt Elsa mit ihren Talentissimos in Ravensburg. Allerdings blieb ich nicht mehr jeden Freitag in unserem Pfrungener Stadel über Nacht. Aber die rasanten Ausfahrten in die Berge machte ich genau so mit wie immer. Die zehn Buben waren mir, als ich noch Angst um die Stimme haben musste, so wichtig geworden wie das Netz für den Trapezkünstler in der Zirkuskuppel. Mit ihnen zusammen, singend, redend, trinkend, Motorrad fahrend, entweder vom Freitag auf Samstag im Stadel oder auf unseren Touren ins himmelhohe Gebirge – das war mein Leben. Elsa war keine Sekunde eifersüchtig. Einmal im Jahr, und zwar immer am Tag der Hochzeitsfeier, waren die Buben zu Gast auf dem Kapellenberg. Das war ein Bruch unserer Verfassung, die ja vorschrieb, dass es keinerlei Berührung mit Privatem geben dürfe. Das hatte Giacomo wahrscheinlich mit der Gruppe diskutiert, als er heimlich den Gesang von den zwölf Räubern vorbereitet hatte. Und da ich zwanzig bis dreißig Jahre älter war als die Buben, durfte dieser Bruch sein.
    Aber wie würde Elsa auf meine Buben wirken?
    Gewinnend. Das hatte ich gehofft. Am ersten Freitag nach diesem Auftritt wurde Elsa diskutiert wie eine Sache, wie ein Problem, wie etwas, was nicht zu uns gehört, was verlangen kann, dass wir uns damit beschäftigen. Giacomo gab den Ton an. Er gab das Stichwort: Gewinnend sei sie. Und Kondor, der in der hierarchielosen Schar doch der war, der gleich nach Giacomo kam, Kondor sagte, ihm habe es gutgetan, dass Elsa keine Sekunde lang verlegen gewesen sei. Sobald jemand ihm gegenüber in Verlegenheit gerate, werde er auch verlegen. Und das hasse er. Und dann hasse er den oder die, die ihn in Verlegenheit gebracht hätten. Nichts davon bei dieser Elsa. Dass Kondor, der immer kahlgeschorene Radikale, so redete, überraschte alle, beeindruckte alle. Ringo, der immer fragt, warum etwas so sei, wie es ist, Ringo sagte, diese Elsa sei sicher bei ihr daheim die Jüngste gewesen, also die Beliebteste, also hat sie immer sagen dürfen, was sie sagen wollte, und dieses Ungenierte bestimme eben heute noch ihr Verhalten. Petrus, der immer den Besinnlichen gibt, konnte es in einem Satz sagen: Sie hat etwas Bewahrtes. Und Basta, der eine Freude daran hat, alles, was er sagt, möglichst schnoddrig, das heißt, gefühlsarm, also trocken herauszubringen, Basta sagte: Nichts Affektiertes, das bringt’s, klar. Katze, der gern den Unbestechlichen gibt, sagte: Wir werden’s ja sehen. Lenin und Castro nickten zu allem. Und Silber kochte lieber, als dass er redete. Ich fuhr am nächsten Morgen singend vom Heim zurück auf den Kapellenberg.

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