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Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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mit einem Motorrad umgeht, den Nachnamen wissen. Und nicht den Beruf. Aber jeder muss mein Sicherheitstraining absolviert haben. Und jeder musste sich selber einen Namen geben. Ich machte den Anfang und nannte mich Marlon. German Insiders war mein Vorschlag. Frei-Chor stammte dann von Giacomo. Giacomo ist unser Dirigent. Und er ist so gut, dass man vermuten kann, er habe das gelernt. Aber ihn danach zu fragen, kommt nicht in Frage.
    Ich fragte, ob wir nicht noch einen Kaffee trinken sollten mit einander. Er schaute mich ernst an. Und nickte. Aufgesessen auf den Hobel und abgebiked. Aber nicht mehr als Rennen, sondern als Vergnügen. Wir tanzten mit einander. Ich dicht hinter ihm, machte alles nach, was er machte. An der nächsten Wirtschaft bog er ein, ich auch. Wir stiegen von den Maschinen und erzählten einander unser Leben. Ich erfuhr, er sei gerade unterwegs zu seinen Bienenstöcken im Allgäu. Er habe Bienenvölker im Südschwarzwald, am Oberrhein und eben auch im Allgäu, bei Ellhofen. Dahin sei er gerade unterwegs. Ich konnte mich nicht gleich wieder verabschieden von ihm. Wenn er eine Frau gewesen wäre, würde ich sagen, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Die Biographien passten. Er landete, weil er Hausaufgaben hasste, in der Sonderschule, haute ab, traf zwischen Wäldern einen Imker, blieb bei dem, erbte von dem, nach sieben Jahren, dessen Völker, vierundvierzig an der Zahl, heute hat er zweiundsiebzig Völker. Er bekämpft die Milbe aus Asien nicht mit Chemie, sondern mit Ameisensäure. Fünfzehn Kilo bringt ihm jedes Volk. Manches aber auch dreißig. Zuletzt zitierte er Einstein: Wenn die Bienen aussterben, sterben auch die Menschen aus. Ich beschrieb ihm, wie man im Wald hinter Pfrungen unser Heim finde. Und sagte ihm, dass ich im Verein Marlon heiße und dass er sich auch einen Namen geben müsse. Ihm zog es die Stirn auf der Nasenwurzel zusammen. Und löste sich wieder, und er sagte fast triumphierend: Giacomo. Ich gratulierte, er fand unser Heim und blieb. Alle mochten ihn. Er hat uns zum Singen gebracht. Durch ihn sind wir zum Frei-Chor geworden. Er ist der Dirigent. Das Wichtigste: unsere Gebirgsfahrten. Im Mai und im September. Ins Montafon, ins Oberengadin, in die Dolomiten, ins Berner Oberland. Immer hinauf, bis jede Straße endet und der Schnee beginnt. Das Ziel, dass alle BMW 1200 R fahren, haben wir noch nicht erreicht, aber wir kommen ihm immer näher. Ich habe durch stotterfreies Redenschwingen beim Händler die Preise heruntergeholt. Statt elftausendundnochwas höchstens acht. Und das mit edlen Zahlfristen. Wenn wir dann die Kickstarter unserer Bikes treten, den Kupplungsgriff fahren lassen, die Vorderräder sich aufbäumen und wir uns donnernd hinaufschrauben, die Öfen Rad an Rad, und erst absteigen, wenn der Gebirgsbach unter der Schneelast herausschäumt, dann haben wir alle ein Freiheitserlebnis, das wir feiern müssen. Mit Grillen, Blödeln und Gesang.
    Und die schoben jetzt den Kapellenberg herauf. Es war schon nach zehn. Weil Elsas Haus zwar das höchstgelegene, aber nicht das einzige ist, war das eine Art Ruhestörung. Aber Elsa hatte die Nachbarn rundum eingeladen zum prachtvollen Abschluss dieses Tages. Zehn Männer auf blitzenden Maschinen und alle in schwarzem Leder. Sie stiegen von den Maschinen. Ich stellte sie vor. Ich musste zuerst einmal sagen, dass wir im Verein andere Namen haben als draußen. Und dass jeder seinen Namen selbst gewählt habe. Und musste gleich mit mir anfangen: Marlon. Das gab schon mal da und dort einen Lachlaut. Die von den Buben gewählten Namen haben sicher noch nie so gut gepasst wie in dieser Nacht auf dem Kapellenberg. Petrus, Kondor, Katze, Ringo, Lenin, Castro, Silber, Apache, Basta, Giacomo. Und jeder, dessen Namen ich erklingen ließ, zeigte durch eine Geste, dass er der Aufgerufene sei. Petrus breitete seine Arme aus, als wolle er alle umarmen. Kondor ließ eine Hand über seinem kahlgeschorenen Kopf kreisen, als werfe er gleich ein Lasso. Ringo ließ seine Fäuste hochschnellen, das hieß: Ich finde hier alles toll. Lenin nahm Castros Rechte und riss beider Arme in reiner Zustimmung in die Höhe. Basta winkte einfach. Silber ließ eine Zeigefingerhand auf sich zeigen. Apache kreuzte seine Arme vor der Brust und verneigte sich feierlich. Katze, der da gerade den linken Unterarm und die Hand im Gips hatte, beugte sich so, dass die schulterlangen Blondhaare, die seine Glatze säumen, vornüberfielen, dann ließ er den Gipsarm langsam

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