Muttertier @N Rabenmutter
eigentlich auch zu Thorbens Geburtstag eingeladen?« Andrea lenkte das Gespräch sensibel in eine unverfänglichere Richtung.
»Ja. Habt ihr schon ein Geschenk? Seine Mama hat gesagt, es wird ein Weltraum-Geburtstag. Die arme Mutter. Was macht man denn da für Spiele? Alle rennen im Kreis, bis ihnen schwindlig ist? Diese Themengeburtstage sind echt schwer im Trend. Das stellt uns Eltern schon vor einige Herausforderungen.« Ich lachte bei der Vorstellung, wie Thorbens Mutter es wohl schaffen würde, die Schwerelosigkeit zu simulieren.
»Da hast du recht. Das sind schon lange keine Kindergeburtstage mehr, das sind richtige Events. Da … Mensch, Maxi!« Andrea konnte nicht weitersprechen. Sie hatte sich offensichtlich an ihrem Latte macchiato verschluckt. Prustend und wild gestikulierend umarmte sie mich, um gleich danach herzhaft in die Serviette zu husten. Einige Cafébesucher musterten diese Szene halb interessiert, halb angeekelt.
»Andrea, alles klar? Kriegst du Luft?« Ich machte mir Sorgen um meine Freundin, da sie neben der Husterei so komisch hin und her tanzte, mich umarmte und um den Tisch hüpfte. Schließlich hatte sie sich so weit beruhigt, dass sie sprechen konnte.
»Maxi! Überleg doch mal. Events! Klingelt’s?« Mit weit aufgerissenen Augen sah Andrea mich erwartungsvoll an.
»Bei wem?« Der Groschen war noch nicht gefallen.
»Heute bist du aber wirklich langsam. Events. Kindergeburtstage. Das ist dein Auftrag. Du organisierst Kindergeburtstage. Du hast doch selbst gesagt, dass die Organisation einer solchen Veranstaltung die Eltern vor echte Herausforderungen stellt. Und du liebst Herausforderungen und Veranstaltungen. Außerdem schüttelst du die gängigen Themenwelten doch aus dem Ärmel. Die hast du mit Till doch alle schon durch.« Andrea überschlug sich förmlich vor Begeisterung.
»Alle, außer Weltraum«, kicherte ich. »Aber jetzt mal im Ernst. Wer sollte mich denn für das Ausrichten eines Kindergeburtstages bezahlen? Die Eltern, die selbst keine Spiele machen wollen, gehen zu McDonald’s. Und bei dem Preis könnte ich nicht mithalten.« So sehr mich die Idee auch reizte, glaubte ich doch nicht an die Umsetzbarkeit.
»Und hier irrst du dich.« Andrea war sich ihrer Sache sehr sicher. »Bei den reichen Frauen in meiner Nachbarschaft sind McDonald’s-Geburtstage total verpönt. So was machen nach deren Meinung nur Proleten. Ich weiß aber, dass die meisten überhaupt keine Lust auf diesen ganzen Zirkus haben und es nur machen, um sich vor den anderen Nachbarinnen keine Blöße zu geben. Glaub mir, die würden deine Dienste mit Kusshand annehmen. Und Geld spielt für die gar keine Rolle. Maxi, das wird super, glaub mir. Im Sommer hat Lennart Geburtstag. Du weißt schon, der Sohn von meiner etwas durchgeknallten Nachbarin Cindy. Den Auftrag verschaff ich dir.« Ganz im Glück umarmte Andrea mich und winkte mit ihrem Geldbeutel Mario zu, um ihm zu bedeuten, dass wir zahlen wollten.
Cindy Haustein war Andreas direkte Nachbarin. Die Aussage ›etwas durchgeknallt‹ war eine nette Umschreibung für diese überdrehte, aber nicht unfreundliche Person. Cindy war eine dieser Frauen, die sich vermutlich aufgrund eines Gendefekts nach der Pubertät nicht weiterentwickeln konnten. Sie fühlte sich mit 48 Jahren immer noch wie Teenage-Lolita, und so kleidete sie sich auch. Da sie eine makellose Figur vorweisen konnte, sah sie von hinten tatsächlich fast wie ein 17-jähriges Mädchen aus. Ihrem Gesicht war ihr Alter jedoch deutlich anzusehen, und so war es ein eher skurriles Bild, das die reife Frau in Teenager-Klamotten abgab. So zierlich Cindys Körper war, so trampelig war ihr Wesen. Sie war laut, rücksichtslos und überheblich. In jeglicher Hinsicht das genaue Gegenteil von Andrea. Lennart und Hagen besuchten denselben Kindergarten, und so kam es, dass auch die Mütter einen gelegentlichen Kontakt nicht vermeiden konnten. Ich hatte Cindy ein paar Mal bei Andrea getroffen. Bei diesen Gelegenheiten hatte sie abstruse Geschichten erzählt vom Skifahren in St. Moritz, wo sie von der Piste abgekommen war und schließlich in einem selbst gebauten Iglu übernachtet hatte; oder von Karibik-Kreuzfahrten, bei denen sie beinahe Opfer von Voodoo-Ritualen der Eingeborenen geworden war. Ich fragte mich, was in ihrer Kindheit vorgefallen war, dass sie ein solch übersteigertes Geltungsbedürfnis hatte. Eines stand jedoch fest: Die Frau hatte Fantasie. Ich müsste mich schon gehörig anstrengen, wenn
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