Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
hängen, spüre ich den giftigen Blick meiner Mutter, der überraschenderweise aufgefallen ist, dass ich nicht ganz bei der Sache bin.
»Was fummelst du denn da rum? Du willst doch nur vom Thema ablenken!«, ruft sie. »Letzten Freitag war Margot mit Frau Uhlich in der Stadt.« Um energisch zu wirken, streicht sie sich schwungvoll mit beiden Händen ein paar Fusseln vom Rock. »Sie hat mit ihr Kaffee getrunken! Wieso hat sie mich nicht gefragt, ob ich mitkommen möchte? Ich würde so gerne mal wieder mit jemandem einen Stadtbummel machen. Aber ich habe ja keinen Führerschein und kein Auto!«
Schnell werfe ich noch einen Blick in den Rück- und in den Seitenspiegel, bevor ich nach links abbiege. In der folgenden Minute werde ich dafür kaum Muße haben, das ist mir klar.
»Du könntest mit dem Bus fahren«, wage ich vorzuschlagen. »Nimm doch den Rollator mit, den du in deinen Abstellraum verbannt hast. Das Ding hat sogar einen Einkaufskorb, dann brauchst du keine Tüten zu tragen!«
Der Blick, den meine Mutter mir nun zuwirft, könnte Tote wieder aufwecken. »Du meinst das Scheißding mit den hässlichen Reifen?«, sagt sie spitz. »Mit dem ich noch älter aussehe, als ich eh schon bin? Nee, Laura, das mach ich erst, wenn ich nur noch humpeln kann. Außerdem macht das alleine alles keinen Spaß – ich wüsste auch nicht mal, wo ich überhaupt hinsollte. Aber ich muss ja immer alles alleine machen.«
Erst drei Wochen zuvor war ich mit meinem eigen Fleisch und Blut älteren Semesters in der Stadt gewesen, hatte Muddi Geleit, Sicherheit, Plausch und Kaffee geboten. Für einen Moment frage ich mich ernsthaft, ob sie das Gedächtnis verloren hat oder einfach mal kurz ausblendet, was sie erlebt hat, um die »Frechheit« ihrer Freundin Margot in noch schlechterem Licht erscheinen zu lassen.
Muddi schmollt noch ein wenig. Und ich schweige an diesem Tag beharrlich zu allen weiteren Bemerkungen über Margot und Herrn Michels. Das Thema kommt sicher bald schon wieder auf den Tisch.
Und richtig: Schon in der folgenden Woche ist es so weit. Abermals sind wir im Auto auf dem Weg zum Supermarkt. Ich versuche gerade, mich auf meinen Vordermann auf der Straße zu konzentrieren, als dieser knapp bremst und nach rechts in eine Seitenstraße abbiegt. Kann der Idiot nicht blinken?! Um ein Haar wäre ich ihm hintendraufgefahren! Ich fluche wie ein Postkutscher, aber Muddi nimmt meinen unfeinen Ausruf gelassen hin.
»Am Samstag war Margot wieder mit Herrn Michels bei Mohrbek«, sagt sie gleich darauf, so als wäre nichts geschehen. »Stell dir das mal vor! Und sie hat mich wieder nicht gefragt, ob ich mitkommen möchte …«
Plötzlich höre ich meine Stimme, ganz so, als würde jemand anderer reden: »Dann ruf sie doch an, verdammt noch mal, und sag ihr genau das, was du mir gerade gesagt hast!«
Mit der Durchschlagskraft einer Kanonenkugel trifft mich die nun einsetzende Stille. Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Muddi will einfach nur Mitleid!
»Ja, aber – ist es nicht gemein von ihr, dass sie mich nicht fragt?«, bestätigt sie das, was ich soeben gedacht habe. » Jede Woche ist sie mit anderen unterwegs, kauft ein, geht bummeln, trinkt Kaffee. Na ja, sie hat ja auch einen großen Freundeskreis – während dein Vater und ich ja gleich nach der Hochzeit die meisten Kontakte abgebrochen haben …«
Es bleibt dabei. Muddi will über Margot herziehen. Aber sie wird ihr nicht die Meinung sagen. Und ich werde mir ohne Hoffnung auf eine Besserung jede Woche aufs Neue anhören müssen, wie sehr Muddis beste Freundin sie kränkt.
Das Einzige, was Abhilfe schaffen kann, ist dann wohl Ablenkung. Vielleicht sollte ich Muddi während der Fahrt das Handschuhfach und die Seitenfächer aufräumen, ihre Seitenfensterscheibe putzen und Dutzende von Duftbäumchen aufhängen lassen. Ja, das ist ein guter Plan. Ich bin dann mal weg, duftende bunte Pappbäumchen kaufen …
5
»Seitdem ich ISDN hab, kann ich nirgends mehr heimlich anrufen!«
S eit Neuestem ist meine Mutter ISDN -Kundin bei der Deutschen Telekom. Sie meint, das sei besser so, weil mein Bruder und ich dann auf den Displays unserer Telefone sofort sehen könnten, ob sie angerufen hat, wenn wir mal nicht zu Hause waren. Und sie wiederum wüsste dann auch sofort, wer sie angerufen habe.
Bis vor Kurzem haben wir Anrufe von Muddi immer daran erkannt, dass »Unbekannt« auf dem Display erschien. Niemand sonst in unserem Bekanntenkreis hatte noch einen
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