Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
Auftrag!«
»Oder vielleicht haben sich Interessenten für das Grafenhaus auf der Sprachbox gemeldet«, versuche ich sie sanft zurückzuführen. »Auf jeden Fall ist die Box sehr praktisch, denn du musst ja nicht zu Hause sein, um Nachrichten zu bekommen. Ist das nicht toll?«
Meine Mutter schweigt eine Weile, dann sagt sie: »Ja, da war eine Nachricht von der Firma M. Die sagten, dass sie übermorgen um drei vorbeikommen würden. Wegen der Gartenpumpe. Ich hab auch gleich zurückgerufen und gesagt, dass sie erst am Freitag kommen sollen. Und drei Mietinteressenten haben mir ihre Nummer hinterlassen. Die hab ich schon notiert.«
Ich traue meinen Ohren nicht. Sie wusste die ganze Zeit, wofür die Sprachbox nütze ist? Das sind die Momente, in denen ich zuerst an meinem , dann an ihrem Verstand zweifele – so lange, bis ich alles loslasse und getrost die fünfte Tasse Filterkaffee trinke, weil mir alles egal ist.
Als ich das nächste Mal gemeinsam mit meinem Sohn Philipp meine Mutter besuche und wir uns gerade angeregt über Philipps Japanisch- AG an der Oberstufe unterhalten, klingelt Muddis Telefon.
»Oh, das ist wieder diese komische Nummer«, stellt sie mit einem Blick auf das Display fest. »Philipp, geh du mal ran!«
Mein Sohn greift zum Telefon und stellt gleich auf laut. Eine äußerst sympathisch klingende Stimme beginnt zu sprechen.
»Was will die blöde Kuh?«, ruft meine Mutter entnervt. »Omi, du musst auch zuhören!«, meint Philipp, denn er hat schnell erkannt, dass es sich bei der Kuh um die Sprachbox handelt. Die Sprachbox-Kuh lässt nun die aufgezeichneten Anrufe ablaufen.
Und Muddi hört zu. Allerdings nur ihrem nun bereits siebzehnjährigen Enkelsohn zuliebe, blond, schlank und groß gewachsen wie früher sein Opa. Gebannt lauscht sie der Box. Mein Sohn und seine Großmutter haben ein sehr inniges Verhältnis, und Muddi sieht sich sogar mit regem Interesse seine Manga-Comics an, während er Erklärungen dazu abgibt. Niemals reagiert sie abweisend oder schroff, wenn es um Philipp geht. Einzig sein Wunsch, später einmal in Japan zu leben, ist ihr ein Dorn im Auge.
»Laura, das finde ich nicht gut!«, sagt sie jedes Mal, wenn die Sprache darauf kommt. »Was will er denn bloß bei den Asiaten?« Schnell schiebt sie das Thema dann beiseite und hofft wohl insgeheim, ihr Enkel würde eines Tages doch noch einsehen, dass es sinnvoller ist, in der Heimat zu bleiben und hier zu arbeiten.
Nachdem nun die vier Anrufe abgehört sind, fragt das Sprachbox-Rindvieh, ob wir noch ältere Aufnahmen abhören möchten. Und noch bevor die Kuh ausgeredet hat oder ich ihr erklären kann, was es mit dieser Funktion auf sich hat, ruft meine Mutter mit hochgezogenen Augenbrauen und einem triumphierenden Lächeln aus: »Nein! Ich werde nicht die Zwei drücken, um mir ältere Aufnahmen anzuhören! Das hab ich nämlich gestern schon getan.«
Und seit Muddi sich zur Sprachbox-Spezialistin erklärt hat, ist nie mehr die Rede davon gewesen, dass der ISDN -Anschluss wieder abgeschafft werden muss.
6
»Isst du denn gar nichts mehr, Kind?«
R und vierzig Prozent von Muddis Familienmitgliedern (und sie selbst) haben rote Haare, Sommersprossen und extrem blasse Haut.
Eine der Lieblingsanekdoten meiner Mutter ist, dass die Krankenschwestern bei ihrem Eintreffen im Krankhaus anlässlich der Geburt meines Bruders sagten: »Oh Gott, eine Rothaarige! Na, das wird ’ne Nacht!« Seitdem glaubt sie, Ärzte und Hebammen seien durchweg der Auffassung, dass rothaarige Frauen weitaus schmerzempfindlicher reagierten als Brünette oder Schwarzhaarige. Niemand hat das jemals bewiesen, aber Muddi ist felsenfest davon überzeugt.
Neben den roten Haaren gibt es eine weitere Gemeinsamkeit in unserer Familie, hinsichtlich der ich lieber etwas schmerzfreier wäre: Ab vierzig nehmen die weiblichen Familienmitglieder aufgrund ihrer Veranlagung, übermäßiger Nahrungsaufnahme und eines eher gleichförmigen Alltagslebens in der Regel etliche Kilo zu. Die Brust wird – obwohl wir ohnehin schon von der Natur mit Körbchengröße C ausgestattet sind – üppiger, der Bauch wird rund und runder – und die Kleidergröße verändert sich von 36 in Richtung 46.
Mit zwanzig war ich schlank, hatte jedoch weibliche Rundungen. Mit der Geburt meines Kindes nahm ich im Laufe der folgenden Ehejahre jedoch stetig zu. Mit Ende dreißig hatte ich Kleidergröße 42/44 erreicht und fühlte mich zu diesem Zeitpunkt fett und hässlich.
Meine Mutter
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