Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
erklärte mir damals oft, das sei in unserer Familie völlig normal und auch gut so: Ich bräuchte ja schließlich Reserven für schlechte Zeiten. Außerdem gäbe es Studien darüber, dass Ärzte Menschen mit ein bisschen Bauchfett viel lieber behandeln würden, da sie eher Angst hätten, dass Dünne ihnen bei deren schwacher Konstitution wegstürben.
Nach meiner Scheidung vor rund fünf Jahren nahm ich recht schnell fünfzehn Kilo ab, weil ich keinen Appetit hatte, mehr Sport trieb und nach und nach meinen Körper wiederentdeckte. Als ich endlich wieder Kleidergröße 38 erreicht hatte, fühlte ich mich so attraktiv, gesund und pudelwohl wie lange nicht mehr.
»Laura!«, rief meine Mutter trotzdem jedes Mal entsetzt, wenn wir uns sahen. »Du wirst mir zu dünn! Du musst doch gesund bleiben, du hast ein Kind!«
Endlose Erklärungen meinerseits über den tatsächlichen Zustand meines Körpers und meiner Seele halfen gar nichts.
»Muddi, es geht mir gut! Ich fühle mich leicht und jung! Glaub mir doch!«
Alles vergeblich – meine Mutter dachte, ich würde bald an Kummer, Sorgen und Unterernährung sterben.
»Der Junge«, damit meinte sie meinen Sohn, »hat doch nur noch dich!« Sie fürchtete offenbar, ich würde mein Kind zu einem Halbwaisen machen. »Am Ende muss ich Philipp noch bei mir aufnehmen!«
»Du meinst, weil sein Vater ja ohnehin kein Interesse mehr an seinem Sprössling zeigt?«, fragte ich und hoffte, sie würde den ironischen Unterton in meiner Stimme richtig deuten – Philipp hat ein sehr gutes Verhältnis zu seinem Vater, natürlich würde dieser jederzeit für ihn sorgen.
»Ja, Laura, jaaa!«
Ironie hilft nicht, Ehrlichkeit hilft nicht, Bissigkeit hilft nicht. Wenn ich meine Mutter heute besuche (inzwischen habe ich ein zweites Mal geheiratet und durchaus das eine oder andere Kilogramm wieder zugenommen) und gerade ein vorteilhaft geschnittenes Kleidungsstück trage, kann Muddi sich eine Bemerkung oft nicht verkneifen.
»Oh Gott, Laura«, ruft sie dann, »du wirst ja immer dünner! Isst du denn gar nichts mehr?«
Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, ihr zu antworten: »Nein, Muddi, Laszlo isst immer alle Hühnchenkeulen alleine auf. Ich bekomme nur die Beilagen. Dafür hat er sich ein iPad gekauft, weil wir beim Fleischkauf so viel Geld gespart haben!«
Letzte Woche war meine Mutter bei entfernten Verwandten eingeladen. Anschließend berichtete sie mir, welche Gedanken sie sich hinsichtlich der körperlichen Konstitution der dort anwesenden Frauen gemacht hatte.
»Also, die Astrid, die sieht ja aus wie ein Knabe. Kein Busen, kein bisschen Bauch, kein Po – nichts! Ich versteh das nicht … Und hast du mal ihre Tochter gesehen? Genau die gleiche Figur! Das sind ja überhaupt keine Frauen mehr!« Leicht angewidert schüttelte sie sich, zuckte dann mit den Schultern und biss genüsslich von einem der Plunderteilchen ab, die ich mitgebracht hatte.
Vermutlich sind nicht nur rote Haare und Übergewicht ab vierzig, sondern auch schräge Ansichten über den Körperbau anderer Menschen in meiner Familie mütterlicherseits erblich. Mir fiel nämlich in diesem Augenblick eine Redewendung meiner norddeutschen Urgroßmutter ein, wenn sie einen Mann sah, der ihrer Meinung nach keine männliche Statur hatte – also nicht groß gewachsen und massig war: »Dat is auch nur so ’n Unnerorsch 1 «, sagte sie auf Plattdeutsch.
1 Zu gut Hochdeutsch: »Unterarsch«, schmächtiges Kerlchen.
7
»Die Promis kriegen den Hals aber auch nicht voll genug!«
W ie kann der nur mit so einer kleinen Frau zusammen sein?«, fragt meine Mutter.
Ich fahre mit ihr zum Recyclinghof, weil in ihrem Garten Unmengen von Unkräutern wuchern und sie fünf blaue Abfallsäcke mit dem Ergebnis ihres Jätens gefüllt hat. Die Entsorgung dieser Säcke duldete selbstverständlich keinen Aufschub, da sie das ästhetische Gesamtbild des Inneren der Doppelgarage sonst vollkommen ruiniert hätten.
Ich sehe aus dem Autofenster und suche nach einem Mann, der sich mit einer Kleinwüchsigen abgibt.
»Na, da lockt doch eh nur das Geld von den Klitschkos«, schiebt Muddi nach, holt umständlich ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und schnäuzt sich.
Ach so, okay! Wladimir hat eine neue Freundin, und die ist nur halb so groß wie er. Ich muss zugeben, dass selbst mir das ungleiche Paar auf dem Titelbild von Muddis Frau aktuell aufgefallen ist. Während ich noch ob dieser Neuigkeiten in mich hineinhorche – will ich das alles
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