Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
wieder vor dem Arztbesuch gedrückt, und sie wird immer gewiefter.
Kürzlich wurde ich an der Tür meines Elternhauses mit folgenden Worten begrüßt: »Lauraaa, fährst du mal schnell zum Arzt und holst mein Rezept ab? Ich hab da eben angerufen und gesagt, ich sei du! Ich hätte ›meine Mutter‹ schon nach Hamburg gebracht, und erst da sei ihr eingefallen, dass ihre Medikamente zur Neige gingen und sie dringend ein Rezept brauchte. Deshalb sei ich extra aus Hamburg noch mal nach Buxtehude gefahren, weil ich mich so sehr um die Gesundheit meiner Mutter sorgen würde.« Mit einem triumphierenden, wenn auch leicht ungläubigen Gesichtsausdruck fügte sie hinzu: »Die haben mir das doch tatsächlich abgenommen!«
Was dem Fass den Boden ausschlug, war die Tatsache, dass sie ihre … »Stimme betont jugendlich und eine kleine Nuance höher hatte klingen lassen«. Ich war sicher noch nie so schlecht kopiert worden – und dennoch war sie damit durchgekommen!
Ich schwor mir daraufhin, dass ich – wenn ich jemals die Möglichkeit bekommen sollte, darauf Einfluss zu nehmen – im Zuge des immer noch häufig vorkommenden Medikamentenmissbrauchs und der maßlosen Inanspruchnahme von Krankenkassenleistungen eine modernere Ausstattung von Arztpraxen sofort befürworten würde: Ich bin für die Anschaffung von Lügendetektoren, hochmoderner Stimmerkennungstechnologie und notfalls sogar für den Einsatz von Mentalisten!
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»Margot fährt ohne mich in die Stadt und das Haus ist immer noch nicht vermietet. Ich kann nicht mehr!«
W arum fallen Töchter regelmäßig auf die Klagen ihrer Mütter herein – oder geht das Söhnen genauso?
Ich für meinen Teil habe permanent ein schlechtes Gewissen, wenn meiner Mutter anscheinend mal wieder eine Laus über die Leber gelaufen ist. Und ich weiß von vielen Leidensgenossinnen, dass es ihnen ähnlich geht. Warum können unsere Mütter sich so häufig nicht mit ihrem Seniorendasein abfinden – und warum sorgen wir uns beständig, was in ihren verschlungenen Gehirnwindungen vorgeht?
Meine Theorie ist, dass viele von uns die sprichwörtliche Nabelschnur auch nach vierzig Jahren noch nicht durchtrennt haben. Und wir gehen mit dem Gefühl durch die Welt, dass wir unseren Müttern etwas schuldig sind, weil sie uns unter ihrem Herzen getragen, mit Schmerzen geboren und unter unsagbaren Mühen großgezogen haben.
Eine von den Gedanken über ihre Mutter solcherart gepeinigte Tochter mag nicht glauben, dass alles immer so bleiben wird, wie es gerade ist. Nein, wie gestraft auch immer sie sein mag, sie hat Hoffnung auf Veränderung. Und sei sie noch so winzig.
Diese Tochter, vor Jahrzehnten – unbemerkt von ihrer Mutter – volljährig geworden, wird sich Mühe geben, ihrer Mutter das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten, und nach effektiven Lösungen für den mütterlichen Alltag suchen. Im Grunde versucht die Tochter lediglich, für sich und ihre Muddi den Zustand vor der Verwitwung wiederherzustellen und jene Mutter zurückzubekommen, die sie immer war: die taffe Frau, die ohne Klagen mitten im Leben stand.
Auch das Lesen diverser Bücher zu diesem Thema reicht nicht aus, um einer Tochter ihren Samariter-Komplex auszutreiben. Und so schliddert sie in Situationen hinein, wie ich sie nur zu gut kenne:
Am nächsten Donnerstagmorgen sitzt mir meine Mutter am Frühstückstisch gegenüber, und während sie noch auf dem letzten Bissen ihres mit Frischkäse bestrichenen Knäckebrotes herumkaut, kommt sie auf das Vermietungsthema zurück.
»Laura, guck mal, ich hab mir gestern einen Text für die Vermietungsannonce ausgedacht! Liest du das bitte mal durch?«
Sie schiebt mir ihren Küchenblock zu, auf dem sie normalerweise unter der Woche ihre Einkäufe notiert. Ich lese: Exquisites kleines Haus für gehobene Ansprüche zu vermieten …
»Muddi«, sage ich dann, »wenn du das so inserierst, kommt Karl Lagerfeld, sieht sich die Bude an und verklagt dich anschließend, weil du seine Zeit verschwendet und ihm eine traumatische Enttäuschung zugefügt hast.«
»Bude!?«, empört sich meine Mutter. »Wie redest du über mein Haus? Du vergisst, dass der Graf sich damals nicht zu schade war, selbst darin zu leben!«
Ich beeile mich, mein Urteil über die Immobilie ein wenig abzumildern, weil ihr Gesicht bereits eine bedenklich rote Färbung angenommen hat. Den Herrn Grafen zieht sie immer dann heran, wenn sie sich in die Ecke gedrängt fühlt.
»Ist ja gut, Muddi«, versuche ich sie zu
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