Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
überhaupt wissen oder mich gar darüber unterhalten? –, fährt Muddi unbeirrt fort:
»Er hat einfach einen zu hohen Blutdruck. Sein Arzt, der selber fettleibig ist, hat ihm deswegen eine Diät verschrieben. Ist das nicht unglaublich?«
Wie jetzt … Wladimir und fettleibig? Seit wann? Beim letzten Boxkampf sah der doch aus wie eh und je, muskulös und kräftig, männlich, sportlich, perfekt …
Muddi zieht die Augenbrauen zusammen. »Ich glaube, Jürgen isst immer heimlich Schokolade.«
Ah, jetzt spricht sie auf einmal von meinem Bruder! Der Themenwechsel ist so still und leise vonstattengegangen, dass ich beschließe, sie einfach reden zu lassen. Mal sehen, ob ich herausfinden kann, worüber sie spricht. Allerdings habe ich eine düstere Ahnung, dass ich bei ihren Gedankensprüngen ohnehin nicht mitkommen werde.
»Jetzt hat der sich auch noch ein Weingut gekauft. Die kriegen den Hals aber auch wirklich nicht voll!«, schimpft sie gleich darauf.
Wie bitte? Mein Bruder hat sich ein Weingut gekauft? Wo denn? Wann? Und weshalb? Ich hätte nie vermutet, dass er sich so was leisten kann. Woher kam der plötzliche Reichtum?
»Das hat wohl mal Jauchs Großonkel gehört, das Gut«, meint Muddi. »Und er will es angeblich aus sentimentalen Gründen erhalten. Natürlich! « Verächtlich stößt sie die Luft aus.
Gut, puh, endlich verstanden! Nicht Jürgen, sondern Günther stellt ab sofort seinen eigenen Wein her. Aha. Irgendwie bin ich sogar erleichtert. Immerhin muss ich dann nicht jährlich eine Bestellung über fünfzig Flaschen Chardonnay Brut bei meinem Bruder aufgeben, nur um ihn zu unterstützen!
»Der sieht ja nach seiner Darmkrebserkrankung wieder aus wie früher. Da kannst du mal sehen, wie weit die Medizin ist.«
Für einen Moment bin ich versucht, nachzufragen, ob es stimmt, dass Günther Jauch Darmkrebs hatte und dabei trotzdem ohne mit der Wimper zu zucken weiter Wer wird Millionär? moderiert hat. Aber ich ahne schon, dass Muddi vom Vater meiner Schwägerin spricht. Dunkel erinnere ich mich nämlich, dass Ute von der Erkrankung erzählt hat, die sie und ihre gesamte Verwandtschaft stark belastet. Natürlich – Utes Vater hatte Darmkrebs, nicht Günther Jauch. Die nächste Äußerung meiner Mutter zeigt mir, dass ich recht habe.
»Ute meint, dass Hans wohl gut auf die Medikamente anspricht«, sagt sie.
Für einen Augenblick spüre ich so etwas wie Triumph. Mir ist, als hätte ich gerade die Eine-Million-Euro-Frage gelöst. War doch alles gar nicht so wild. Doch dann legt Muddi noch mal nach.
»Die ist ja immer geschminkt wie ein Clown!«, regt sie sich auf. »So was Schwachsinniges!«
Ute? Vor meinem inneren Auge sehe ich meine eher sportlich gekleidete Schwägerin zum ersten Mal gestylt wie Nina Hagen vor mir – ein seltsames Bild …
»Na ja, der Gottschalk selber ist ja auch irre mit seinen Verkleidungen.« Muddi schüttelt den Kopf, stutzt dann und schlägt sich plötzlich mit der flachen Hand vor den Kopf. »Laura!«, ruft sie. »Du hast die Ausfahrt verpasst!«
Und es stimmt. Just in diesem Moment rauscht mein französischstämmiges Auto an der großen Tafel mit der Aufschrift »Ihr Recyclinghof für den Norden!« vorbei.
Oh nein, das darf doch wohl nicht wahr sein! Jetzt habe ich wieder mal nicht auf die Straße geachtet, weil ich zu beschäftigt damit war, das zu deuten, was meine Mutter gerade von sich gibt.
Ich bin so verwirrt, dass ich im nächsten Kreisel drei Runden drehen muss, bis ich die richtige Ausfahrt finde.
Nachdem wir schließlich auf den Hof der Entsorgungsstätte eingebogen sind und ich das Auto nahe der Bioabfallcontainer geparkt habe, brauche ich erst mal eine kleine Verschnaufpause.
Durch meinen Kopf schießen die Newsbrocken, die sie mir eben hingeworfen hat, und ich versuche, diese für mich zu einem stimmigen Bild zu arrangieren. Was herauskommt, ist allerdings immer noch durcheinander: Demnach sitzen Klitschko und Jauch nach erfolgreich überstandener Chemotherapie auf ihrem Weingut, mampfen Schokoriegel, bis sie Gefahr laufen, adipös zu werden, und zwingen Gottschalk und seine Frau, für sie auf dem Laufsteg zu posieren. Mein Bruder, seine Frau und deren Vater geben als Jury Punkte für das ausgeprägteste Make-up und das mieseste Outfit.
»Kommst du endlich, Laura?«, fragt Muddi, die schon längst ausgestiegen ist und ungeduldig vor dem Auto mit den Füßen scharrt. »Lass uns die Säcke wegbringen. Ich will wieder nach Hause, da ist noch Kaffee in der
Weitere Kostenlose Bücher