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Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)

Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)

Titel: Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Windmann
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Thermoskanne. Und ohne den kann ich sonst keinen klaren Gedanken mehr fassen.«
    Ich steige aus. Kaffee würde mich jetzt mit Sicherheit weiter an den Rand des Wahnsinns treiben, überlege ich. Lieber kaufe ich mir eine Packung Ginkgotabletten für die Stärkung der Hirnleistung. Dazu Johanniskrautdragees – zur Beruhigung. Und ein Auto mit hochfahrbarer Scheibe im Innenraum. Gegen die Beschallung durch meine Mutter.



8
»Liest du wirklich alle Zeitschriften, die ich dir mitgebe?«
    A lle zwei Wochen schmuggelt meine Mutter – ob ich will oder nicht – einen Stapel von Illustrierten in mein Auto, sobald ich mich auf den Heimweg machen möchte. Sie tut das ganz unauffällig, weil ich sie ansonsten einfach nicht mitnehmen würde. Die hintere rechte Tür ist geöffnet, und Muddi legt noch allerlei Mitbringsel für mich und meine kleine Familie auf die Rückbank. Dann betrachtet sie mit einem komischen kleinen Seufzer die Auswahl von Zeitschriften, die sie sich unter den Arm geklemmt hatte.
    »Ach Laura, nun hab ich sie doch schon mit runtergenommen!«, stellt sie fest, so als sei sie selbst überrascht von dieser Tatsache. »Ich leg sie dir einfach auf die Rückbank, ja?«
    Und schwupp, wirft sie die Hefte auf den Alpenveilchentopf in grüner Manschette, den ich vorsichtig zwischen den Naschtüten für Muddis Enkel und Schwiegersohn platziert hatte. Adieu, du holde rosa Blütenpracht!
    Zu Hause angekommen, wandern die Aktuelle , das Goldene Blatt , die BUNTE und das Neue Blatt bei uns ins Bad und harren dort auf die Lektüre. Ich stehe dazu, ich bin eine Klo-Leserin.
    An einem der nächsten Tage sitze ich im Badezimmer und schmökere in der vorletzten Ausgabe der Aktuellen , die auch schon bessere Zeiten gesehen hat. Plötzlich stoße ich auf ein Interview, das die Redaktion mit der beliebten Bauer-sucht-Frau -Moderatorin Inka Bause geführt hat. Oder besser: Ich werde darauf gestoßen. Denn Muddi hat den Artikel mit dickem schwarzem Stift umrahmt und mehrere Ausrufezeichen daneben gemalt. Was meine Mutter mir mit diesem subtilen Hinweis sagen will, wird mir bald klar.
    Wenn sie beruflich unterwegs sei, erzählt Frau Bause, passe ihre Mutter Angret auf ihren Hund und ihre Tochter Anneli auf. »Wenn ich wiederkomme« , sagt sie, »trinken wir ein Käffchen. Ich nehme dann Hund und Kind und verschwinde. Meine Mutti ist von einer Sekunde auf die andere allein. Natürlich verbringen wir viel Zeit miteinander, aber spätestens am Abend kann so ein Haus ganz schön groß und leer wirken.« Daneben steht als Hinweis der Redaktion, dass der Vater von Frau Bause 2003 gestorben ist.
    Aha. Muddi fühlt sich in der Rolle von Inka Bauses Mutter Angret, ihre Tochter Anneli ist mein Sohn Philipp, der Hund ist mein Hund Krümel und ich, ich bin Inka Bause. Ob mir wohl ein flotter Bause-Kurzhaarschnitt stehen würde, überlege ich, rufe meine Gedanken dann aber zur Ordnung. In der Tat weiß ich ganz genau, was meine Mutter über jeden der oben erwähnten Sätze des Artikels denkt.
    Wenn Inka Bause erzählt, dass ihre Mutter Angret auf ihren Hund und ihre Tochter Anneli aufpasst, denkt Muddi: Tja, als Philipp noch klein war, hab ich ja auch oft auf ihn aufgepasst. Und mit dem Hund bin ich sogar Gassi gegangen! Vielleicht bin ich für niemanden mehr etwas wert, weil ich das körperlich einfach nicht mehr schaffe. Aber ich kann das doch nicht mehr! Wie rücksichtslos von denen!
    Wenn Inka Bause sagt: »Ich nehme dann Hund und Kind und verschwinde. Meine Mutti ist von einer Sekunde auf die andere allein«, ist Muddis Gedankengang wie folgt: Genau wie ich. Sie gehen, haben ihr Leben und ich sitz wieder allein auf dem Sofa. Ich glaub, das ist denen egal.
    Ganz ehrlich: Ich frage mich immer, wieso Muddi ernsthaft glaubt, ich sei so gefühlskalt und teilnahmslos – immerhin kenne ich jeden ihrer verborgenen Gedanken. Und wenn ich einmal damit anfange, diese aufzuspüren, kann ich meist so schnell nicht wieder aufhören …
    Deswegen lese ich Inka Bauses Interviewsatz »Natürlich verbringen wir viel Zeit miteinander …« – und höre innerlich Muddi sagen: »Und genau das tun wir nicht!«
    Natürlich hat Muddi es darauf angelegt, dass ich ihre Gedanken erahne. Solche Markierungen finde ich nämlich regelmäßig in den Journalen, die sie mir wöchentlich aufdrängt. Es ist wie eine verschlüsselte Botschaft, die darauf abzielt, mir ein schlechtes Gewissen einzuimpfen. Denn jede von ihnen besagt nur eines: »Hilfe, ich kann mit meiner

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