Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
Tochter nicht direkt reden! Deshalb muss ich ihr versteckte Signale senden!«
Die raffiniert übermittelten Nachrichten beziehen sich nicht nur auf ihre Einsamkeit – obwohl dieses Thema auf jeden Fall unter den Top Five ist –, sondern auf ganz unterschiedliche Dinge. Oft geht es auch um meine Beziehung, in die Muddi einzugreifen versucht, indem sie Artikel oder Sätze kennzeichnet, die ihr passend erscheinen. »Liebe ist wichtiger als Politik!«, ist dann mit rotem Filzer umkringelt. »Wer liebt, hat keine Zweifel«, versieht sie mit drei Ausrufezeichen. Doppelt und dreifach angestrichen war ein Artikel mit dem sprechenden Titel: »Der Macho im Mann und wie eine Frau sich wehren kann.«
Muddi liebt es auch, kurze bissige Kommentare am Rand der Zeitschrift zu hinterlassen. Neben einer Reportage über Lothar Matthäus und seine untreue Liliana steht dann einfach das Wort »saublöd!«. Und das Geständnis »Früher hat mich keine Frau angeguckt« von Moritz Bleibtreu entlockt Muddi nur ein lakonisches »Na und?«.
Auch dahinter steckt ein Mitteilungsbedürfnis besonderer Art. Denn mit den Randnotizen möchte sie mir mitteilen, dass sie sich zwar für Neuigkeiten aus der Welt der Promis interessiert, aber durchaus erkennen kann, mit welchen Nichtigkeiten ein Lothar Matthäus sich mal eben wieder ins Gespräch bringt und damit seinen Marktwert steigert. Vielleicht bessert er damit sogar sein nicht gerade läppisches Taschengeld auf?
Ich seufze, als ich im Bad die nächste Zeitschrift aufblättere. Auf einer Doppelseite mit herbstlichen Modevorschlägen für eine Angestellte aus Berlin-Neukölln hat meine Mutter gleich sechs Fotos mit Bemerkungen versehen. Eine klingt freundlicher als die andere: »hässlich«, »fette Beine!«, »schwachsinnige Idee«, »total altmodisch«, »Kugelwaden!« sowie »Das hilft jetzt auch nix mehr«, lese ich da. Die arme Frau weiß nicht einmal, dass sie von einer Leserin im weit entfernten Norden so herabgewürdigt wird. Dabei sieht sie gar nicht mal so schlecht aus, muss ich zugeben. Solche Waden hätte ich auch ganz gern.
Muddis Motiv ist allerdings keine Missgunst, sondern ein Hinweis darauf, dass sie einen äußerst klaren Sachverstand in Modefragen besitzt und aufgrund dessen entsetzt darüber ist, was die Fachleute heute als schick oder elegant bezeichnen.
Erst seit Kurzem weiß ich, dass ich nicht die Einzige bin, die diese Hinweise versteht. Mein Sohn Philipp zeigte mir neulich einen Artikel, den seine Großmutter extra für ihn markiert hatte. Oder doch eher für mich? Na ja, vielleicht für uns beide. Muddi nahm vermutlich an, dass ich die Botschaft an Philipp weitergeben würde. Immerhin versteht sie Philipps Japanliebe nicht wirklich und befürchtet stets, ihr Enkelsohn würde sie eines Tages ohne ein weiteres Wort oder einen Abschiedsbrief rücksichtslos verlassen und sich eine asiatische Braut in Schuluniform und mit Manga-Zöpfchen suchen. Um das zu verhindern und ihn auf die Gefahren des Übersiedelns aufmerksam zu machen, hatte sie folgenden Satz – dieses Mal in knallroter Farbe – markiert:
»Japaner denken anders: Gehorsam und Obrigkeitswahn bis zur Selbstaufgabe! Kamikaze war gestern, heute bleibt man vierundzwanzig Stunden im Büro.«
Philipp hielt mir die Zeitschrift unter die Nase. »Was will sie mir damit sagen?«, fragte er. »Dass die Japaner alle bekloppt sind?«
Ich nickte, denn er hatte in jugendlichem Schwung genau den Punkt getroffen. Was hätte ich ihm sonst auch antworten sollen?
Welch unvorhersehbare Wege Muddis geheime Botschaften nehmen und zu welch gefährlichen Missverständnissen sie führen können, musste ich vor einigen Wochen feststellen. Und das alles wegen einer kleinen Unachtsamkeit.
Eine meiner Freundinnen nimmt mir von Zeit zu Zeit einige Zeitschriften meiner Mutter ab und liest sie entweder selbst oder gibt sie an Freundinnen weiter.
Neulich rief sie mich schon früh morgens an. »Lauraaa!«, rief sie. »Hat es dir wirklich nichts ausgemacht, dass du mich in letzter Zeit so oft im Auto mitgenommen hast?«
Ich staunte. Sicher, ich hatte sie häufig mit dem Auto abgeholt, für einen Einkauf bei OBI , einen Flohmarktbesuch oder einfach nur zum gemeinsamen Bummeln. Aber das hatte ich gern getan und eigentlich nicht eine Sekunde darüber nachgedacht. Weshalb fragte sie?
»Nee, wieso?«, sagte ich deswegen. »Ich habe dir doch gesagt, dass mir das nichts ausmacht!«
Sie druckste ein wenig herum, daher hakte ich noch einmal
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