Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
nach. Irgendwann rückte sie schließlich mit der Sprache raus.
»In einem der Hefte, die du mir vor ein paar Tagen mitgegeben hast, war ein Artikel ganz fett angestrichen: Meine Freundin lässt sich fahren – diese Unverfrorenheit: Sie nutzt mich schamlos aus! «
Das war das erste Mal, dass ich daran dachte, es Muddi mit gleicher Münze heimzuzahlen. Ich blätterte alle Zeitschriften am Kiosk durch, bis ich ihn fand – den perfekten Retourkutschenartikel in einer Zeitschrift, die meine Mutter noch nicht gelesen hatte.
Mit einem milden Lächeln reiche ich Muddi die Zeitschrift beim nächsten Besuch.
»Tolle Fotostrecke«, sage ich. Und freute mich darauf, wenn sie den angestrichenen Beitrag auf den Seiten dahinter entdecken und über meiner Botschaft brüten würde wie sonst nur über dem Kreuzworträtsel in der Hörzu.
Was dick umkringelt ist? Natürlich der Test mit dem Titel »Sind Sie leicht zu durchschauen?«. Mal sehen, ob Muddi den Code knacken kann!
9
»Männer sind wirklich unfassbar dämlich!«
B evor die Tankstelle gegenüber meines Elternhauses aufmachte, musste ich mir ständig anhören, dass es in Muddis Nähe keine Einkaufsmöglichkeiten für führerscheinlose Menschen gibt.
»Gott, Laura«, rief sie damals bei jeder sich bietenden Gelegenheit, »es ist schrecklich! Ohne Auto kann hier kein Schwein seinen wöchentlich notwendigen Einkauf tätigen. Wenn ich nur mal eine Rolle Klopapier brauche, muss ich zu Fuß eine halbe Stunde bis in die Innenstadt laufen! Oder eine ganze Stunde bis zu Kaufmarkt! Der Bus fährt ja hier nicht mehr vorbei. Wie, um Himmels willen, sollen das die alten Leute bloß machen?« Und nach einer kurzen Pause stellte sie stets fest: »Ach Laura! Ich bin ja selbst alt! Ich vergess das immer!«
Mit roten Wangen verfolgte meine Mutter daher den Bau der Tankstelle, als handele es sich um das Aufstellen des Weihnachtsbaumes. Seitdem die Tanke eröffnet ist, hat sie das fehlende Mehl oder den Tetrapak Milch in Reichweite, der Ladenteil ist gut ausgestattet, sodass es ihr an nichts mangelt.
Der Shop gegenüber von Muddis Fachwerkhaus ist allerdings nicht nur gut für den Einkauf zwischendurch, sondern sie ist auch Muddis absolutes Lieblingsthema. Man könnte denken, gegenüber wäre eine neue Daily Soap eingezogen, so viele Geschichten hat sie aus dem Laden auf Lager. Es geht um den neuen Liebhaber der Angestellten Karin genauso wie um die kleinen Streitereien zwischen der Aushilfe und dem Inhaber.
Kein Wunder, dass sie über alles Bescheid weiß, denn meine Mutter hat inzwischen kräftig Kontaktpflege betrieben. Zwei Verkäuferinnen, die in der Tankstelle als Servicekräfte beschäftigt sind, kennt sie »noch von früher«. Und die übrigen Angestellten wissen mittlerweile auch ganz genau, wer Frau Windmann ist. Ausnahmslos alle dort drüben bescheinigen ihr – jedenfalls nach ihrer eigenen Aussage – Tag für Tag aufs Neue, dass sie jederzeit ihre Hilfe in Anspruch nehmen könne. Für mich als Tochter ist das sehr beruhigend, man weiß ja nie, wann man das noch mal brauchen kann.
Allerdings fühlt sich meine Mutter nun verpflichtet, jede Woche mindestens einen Artikel im Tankstellenshop zu kaufen, um sich bei den Verkäufern in guter Erinnerung zu halten. Und ich muss mir ihre Klagen über die hohen Preise anhören.
»Eigentlich ist das alles viel zu teuer da drüben«, lamentiert sie. »Aber ich will ja, dass die mich nicht aus den Augen verlieren!«
»Ja, Muddi«, versuche ich sie zu beruhigen, »und das ist auch gut so. Aber du weißt schon, dass die Preise im Grunde dreimal so hoch sind wie beim Discounter? Die Tanke ist nur für Notkäufe geeignet. Du bist aber nicht in Not!«
»Na! Ich bin in Not, wenn ich kein Toilettenpapier mehr habe, Laura!«
»Ja, aber … wir kaufen doch jede Woche ein, Muddi!«, wende ich ein.
Muddi zuckt mit den Schultern. »Pffff …!«, macht sie, was so viel heißt wie »Du hast zwar recht, aber ich weiß es trotzdem besser!«.
Damit sie nicht ihre ganze Rente dort lässt, haben meine Mutter und ich vereinbart, dass sie in der Tanke lieber nur noch Zeitschriften ersteht, weil die überall gleich viel kosten. Ihr anderer bevorzugter Artikel sind Kakao-Flaschen für ihren Enkel. Die geben ihr jederzeit einen Grund, auf der anderen Straßenseite einkaufen zu gehen. Philipp schüttet das Zeug nämlich in sich hinein wie Wasser.
»Eigentlich unfassbar«, sagt sie. »Die Flasche kostet da fast achtzig Cent mehr als im Supermarkt!
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