Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
Mutter ausflippt, dann aber richtig. Es reichen manchmal schon Kleinigkeiten, um sie auf die Palme zu bringen.
»Weißt du eigentlich, dass mein Auspuff kaputt ist? Der Rost hat ein riesiges Loch ins Rohr gefressen«, sage ich etwa angelegentlich zu ihr.
» DEIN AUSPUFF IST KAPUTT ? O MEIN GOTT , DAS WIRD BESTIMMT TEUER !«, brüllt Muddi in so einem Fall, rudert mit den Armen und hat die Augen ganz weit aufgerissen.
Ich vermute, dass jeder andere aufgrund der Temperamentsausbrüche meiner Mutter Herzrasen und einen Tattermann bekäme. Für mich gehört es zum Alltag, das hinzunehmen. Meistens gelingt mir das ganz gut. Aber nicht immer.
Wüsste ich es nicht besser, würde ich vermuten, dass meine Familie ursprünglich aus Italien stammt. Und dass meine italienische Muddi gerade erfahren hat, dass ich zum sechsten Mal Mutter werde und der Vater des noch ungeborenen Kindes ein verheirateter Mann aus Papua-Neuguinea ist, dreiundsiebzig Jahre alt und von Beruf Henker. Dabei ist lediglich der Auspuff meines Autos verrostet – es ist also wirklich nichts Weltbewegendes geschehen.
Ich sitze wieder mal mit Muddi im Auto, und wir sind auf unserer Donnerstagseinkaufstour, die sich diesmal für mich zum Belastungstest entwickelt. Die letzten zwanzig Minuten, in denen sie mir diverse Neuigkeiten erzählt und zusätzlich auch noch zahllose olle Kamellen zum x-ten Mal aufgebrüht hat – »Weißt du noch, wie ich mal mit meinem Kleid bei Karstadt in der Rolltreppe hängen geblieben bin? Gott, war das furchtbar! « –, habe ich im Eilverfahren längst verdrängt.
Im Augenblick berichtet sie von einer vergangenen Reise nach Österreich – diese Geschichte ist mir ebenfalls bestens bekannt.
»Und dann hat doch der Ober so süffisant gegrinst, ist extra an unserem Tisch vorbeiiiigelaufen …«
Während sie »vorbeiii« sagt, schwenkt sie ihre linke Hand über die Gangschaltung, in einem gekonnten Bogen vorbeiiii an meiner Nase und beugt sich dabeiii so ausdrucksvoll nach vorne, dass ich Angst bekomme, sie könnte aus Versehen den Airbag auf ihrer Seite auslösen. Zumal sie auch noch mit ihrer rechten Faust kraftvoll auf die Ablage schlägt, während sie sagt: »Das war aber auch eine Frech-heit!«
Kaum hab ich mich von dem Schrecken erholt, wechselt sie wie gewohnt das Thema, abrupt und ohne jegliche Vorwarnung.
»Ich wüsste überhaupt nicht, was ich machen sollte, wenn ich dich nicht hätte, Laura. Ich hab doch nur dich!«
Bei diesen Worten umfasst sie mein rechtes Knie und streichelt es. Sie weint ein wenig, seufzt recht laut und sieht dann aus dem Beifahrerfenster.
Ein wahres Wechselbad der Gefühle.
Schon zwei Minuten später philosophiert sie nämlich ganz allgemein über das Älterwerden.
»Das ist doch alles Mist«, sagt sie, »ganz ehrlich, Laura. Ich hab auf meiner rechten Gesichtshälfte viel mehr Falten als links. Ganz bestimmt! Das ist so, weil ich Rechtsschläfer bin. Und wenn ich mir meine Oberarme ansehe, könnt ich das Brechen kriegen. Am liebsten würd ich mich selber anspucken!«
Ich schaue meine Mutter an.
Sie schaut mich an.
Und dann können wir uns kaum noch halten vor Lachen.
Im Grunde stellt jede Autofahrt mit Muddi meine Nerven auf die Probe. Eigentlich frage ich mich nach einem solchen Erlebnis jedes Mal aufs Neue, wie ich überhaupt ans Ziel gekommen bin, ohne einen Unfall verursacht zu haben. Und genauso oft frage ich mich auch, wie ich es bisher geschafft habe, der Einnahme von Valium zu entsagen.
Genau betrachtet lässt das alles nur einen Schluss zu: Ich bin eine tolle Frau und Tochter. Oder … ich bin genauso wahnsinnig wie meine Mutter !
21
»Das Ding muss weg!«
B isher ist mein Plan, meine Mutter mit Paketen zu beschäftigen, gut aufgegangen. Ich dachte mir neue Ideen aus, die sie auf Trab hielten, Muddi war froh, wenn sie die Sendungen bekam, alles war gut, und das Ganze hatte den positiven Nebenaspekt, dass es mich selbst auf unglaublich effektive Weise entspannte. Doch dann kam der schwarze Tag, an dem meine Mutter meine Absichten durchschaute.
Der Ärger kündigte sich beim fernmündlichen Gespräch an. Wenn meine Mutter und ich telefonieren, dauern die Gespräche entweder zwei Stunden, oder sie enden ziemlich abrupt nach zwei Minuten.
Heute Abend hat Muddi also bei mir angerufen. Sie war vollkommen aufgelöst. Wenn ich sie nicht so gut kennen würde, hätte ich befürchtet, es sei etwas Fürchterliches passiert. Zum Beispiel, dass ihr Haus bei einer Gasexplosion
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