Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
komplett zerstört worden wäre und sie nun hilflos, frierend, lediglich mit Puschen und Nachthemd bekleidet durch die Straßen Buxtehudes irrte.
Dabei hat sie in ihrem Briefkasten nur einen Zettel von UPS vorgefunden.
Als hätte es die anderen Paketsendungen, mit denen ich sie in den vergangenen Wochen beglückt habe, nie gegeben, erzählt sie mir in diesem Gespräch von der Ungeheuerlichkeit einer nicht angeforderten Paketzustellung. Ihr Zorn wächst dabei ins Unermessliche, was ich deutlich an der Lautstärke ihrer Stimme am anderen Ende der Leitung erkennen kann.
» Laura! Ich halte das nicht aus! Was ist denn das für ein Zettel? Was soll das? Ich hab doch gar nichts bestellt! Was wollen die von mir? Ich kann das auch kaum lesen, was die da draufgeschrieben haben, so eine Sauklaue, also ehrlich! Die wollen mir bestimmt irgendwas unterjubeln, und ich soll das dann per Nachnahme bezahlen!« Sie holt kurz Luft. »Gerade kam Frau Sciutto mit Lorenzo vorbei, um die Miete zu bezahlen. Die sagt auch, dass das alles Halsabschneider und Gauner sind. Lorenzo hat sich auch gleich aufgeregt, mit den Armen gewedelt und gesagt: ›Genau, Hallihallo! Alles Mafia!‹«
Obwohl ich natürlich nur zu gut weiß, dass ein von mir bestelltes und an sie gesandtes Paket auf dem Weg nach Buxtehude ist, sage ich: »Dann bezahlst du es halt einfach nicht.« Ich bin darüber verärgert, dass Muddi mich gerade mit absurden Verschwörungstheorien bombardiert hat. »Mach doch nicht so einen Aufstand«, füge ich noch hinzu. »Es ist nichts los, Muddi. Niemand will dir was! Alles ist gut.«
Vielleicht klinge ich einen kleinen Tick zu bestimmt, denn meiner Mutter verschlägt es glatt die Sprache. Nach einer kleinen Verschnaufpause, in der mir nur eisiges Schweigen entgegenschlägt, verkünde ich schließlich: »Also, ich komm dann morgen gegen elf bei dir vorbei, wie immer.«
An einem Punkt wie diesem spüre ich stets, wie meine Mutter sich sammelt. Sie ist eingeschnappt, und ich beginne mich zu ärgern, dass ich so forsch reagiert habe. Immerhin kenne ich diese Situation nur allzu gut.
»Du brauchst morgen gar nicht zu kommen«, sagt sie kühl. »Ich hab ja noch Brot im Haus. Der Rest reicht auch erst mal für eine Woche. Zu mir braucht niemand zu kommen, der so zickig ist!«
Ich seufze, denn ich weiß, dass sie verletzt ist, und dass es jetzt an mir ist, das Ganze geradezurücken.
»Ist gut, Muddi«, sage ich ergeben. »Ich bin dann gegen elf bei dir.«
Sie legt abrupt auf, ohne Abschiedsgruß. Auch das kenne ich schon. Wir wechseln uns in diesem ritualisierten Spiel stets ab, mal knallt sie den Hörer auf die Gabel, mal drücke ich den Knopf mit dem kleinen roten Telefon, um das Gespräch zu beenden. Die Dramatik dieses Spiels scheint uns beiden zu gefallen – und im Grunde tut uns beiden diese Aktion gut. Sie gibt jedem von uns wechselseitig die Möglichkeit, mal Dampf abzulassen. Und jetzt ist Muddi am Zug.
Und richtig, etwa eine halbe Stunde später ruft sie unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand wieder an, und wir plaudern, als sei nichts gewesen.
Es ist so gut, dass es das Telefon gibt, denke ich, als ich auflege. Was für ein einfaches Mittel, Probleme aus dem Weg zu räumen und sich zu versöhnen.
Am nächsten Tag, es ist acht Uhr morgens und ich bin noch im Pyjama, klingelt ebendieses gelobte Telefon.
Ich hebe ab und melde mich mit »Naaaaaa?«, weil ich anhand der Anzeige auf dem Display schon erkannt habe, dass der Anrufer weiblichen Geschlechts ist, beinahe achtzig Jahre zählt und in Buxtehude wohnt. Die Anruferkennung ist noch ein Vorteil der modernen Technik.
Doch auf der anderen Seite höre ich nur: »Oh, Verzeihung! Da hab ich mich verwählt. Entschuldigen Sie bitte vielmals!«
Ähem, was ist das denn nun wieder?
»Muddi? Hörst du mich? Ich bin’s!«, nuschele ich leicht irritiert in den Hörer.
»Wer? Laura?!«
»Jaaa!«
»Aber … dich wollte ich doch gar nicht anrufen! Ich hab doch Margots Nummer gewählt!«
»Du bist aber bei mir gelandet, Muddi«, erkläre ich ihr ruhig.
Sogleich folgt das übliche Spiel: Sie hat sich beim Wählen der Nummer natürlich nicht vertan. Sie nicht. Die Technik ist schuld. Vermaledeites Telefon!
»Also, seitdem ich den neuen Vertrag hab, funktioniert hier gar nichts mehr, Laura!«, jammert sie. »Nicht mal das Datum stimmt noch auf diesem – ehm – wie heißt das Dings noch mal? Ja, genau, Display. Alles hat sich verstellt. Und das, obwohl du mir doch in der
Weitere Kostenlose Bücher