Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
Dinge dramatisieren. Das ist Veranlagung, glaube ich.
»Weißt du, Laura, manchmal überleg ich ernsthaft, einfach abzuhauen!«, setzte Vati nach einigen Minuten noch einen drauf.
Immer noch herrschte im hinteren Teil des Autos Stille. Hatte meine Mutter etwa kurzfristig einen Hörsturz erlitten?
»Jetzt sagt sie einfach nix, Laura!«, wunderte sich nun auch mein Vater. »Wieso sagst du denn nichts, Lisbeth?«
Ich drehte mich um, um sie zu fragen.
Und zuckte zusammen.
Muddi konnte gar nichts sagen.
Ihr Platz war leer.
»Ach du Schande!«, sagte ich und legte meinem Vater die Hand auf den Arm. »Halt mal an, bitte.«
»Wieso denn?«
»Weil Muddi gar nicht im Auto ist.«
Mein Vater warf einen Blick in den Rückspiegel und wurde augenblicklich leichenblass.
»O mein Gott …«, meinte er nur, wendete Bruchteile von Sekunden später seinen silberfarbenen Passat in Magnum-Ferrari-Manier mitten auf der Straße und gab Gas.
Ich klammerte mich am Griff der Innentür fest.
»Oh Gott, Laura!«, rief mein Vater immer wieder. »Das werd ich mir die nächsten Jahre immer wieder vorwerfen lassen müssen!« Er sah zu mir herüber. Seine Gesichtsfarbe hatte inzwischen von leichenblass zu puterrot gewechselt. »Die hat bestimmt schon meine Koffer gepackt und sie vor die Tür gestellt.« Er zog während der rasanten Fahrt seinen Sitz so weit nach vorne, als könnte er damit die Fahrtzeit bis nach Hause verkürzen. »Hat sie überhaupt den Haustürschlüssel, oder hast du den eingesteckt?« Schweißperlen standen auf seiner Stirn, so nervös war er.
Ich wühlte hektisch in meiner Handtasche, in deren Untiefen sich schließlich der Schlüssel fand.
»Wie viel Grad haben wir eigentlich?«, fragte mein Vater dann. »Guck doch bitte mal aufs Thermometer!«
Zweiunddreißig Grad. Draußen schien die Sonne auf den Asphalt. Auch dies war ein äußerst ungünstiger Umstand, denn Muddi hatte keinen Haustürschlüssel und stand vermutlich in der sengenden Hitze vor der Tür, hilflos der prallen Sonne ausgesetzt.
Schließlich erreichten wir das Haus meiner Eltern. Mein Vater parkte mit quietschenden Reifen. Und da stand Muddi inmitten ihrer Tüten und Taschen. Sie hatte sich ein Stofftaschentuch auf den Kopf gelegt, der Strohhut befand sich ja im Auto. Ihr war das Ungemach deutlich anzusehen.
Ich stieg aus und öffnete die Wagentür für sie. Muddi setzte sich ohne ein weiteres Wort auf die Rückbank.
Auch in der folgenden halben Stunde sprach sie nicht. Wir erreichten unser Ziel, ein nettes kleines Café inmitten einer Eichenlichtung, stiegen aus und nahmen an einem der runden Tische Platz.
»Herr Ober, ich hätte gern ein Kännchen Kaffee Hag. Und eine Schwarzwälder Kirschtorte. Mit Schlagsahne, bitte«, lauteten Muddis erste Worte, als der Kellner mit gespitztem Stift unsere Bestellung aufnahm. Langsam schienen ihre Lebensgeister wiederzukehren, und mein Vater und ich warfen uns einen erleichterten Blick zu.
Heute, aus der Distanz von vielen Jahren und mit der Erfahrung vieler nervenzermürbender Diskussionen mit meiner Mutter, denke ich manchmal fast: Vielleicht sollte man sie des Öfteren solch traumatischen Ereignissen aussetzen – dann würde zumindest für dreißig Minuten Ruhe in ihrer Gegenwart herrschen!
23
»Die war schon als Kind so renitent!«
T rotz aller guten Vorsätze, Ruhe zu bewahren, fühle ich mich in Muddis Gegenwart manchmal wie beim Mensch-ärgere-dich-nicht, wenn die eigene Figur als erste rausfliegt. Ich sollte mich zwar nicht ärgern, denn das besagen ja die Spielregeln – dennoch läuft mir beinah die Galle über, wenn sie sich mir gegenüber mal wieder etwas Besonderes geleistet hat. Am meisten ärgere ich mich dann allerdings über mich selbst und darüber, dass ich nicht in der Lage bin, Muddi den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ich sollte ihr in solchen Situationen lieber deutlich machen, dass ich ich bin, eine eigenständige Person mit eigenen Ansichten und Gefühlen. Ja, vielleicht hätte ich schon als Kind, spätestens aber als Jugendliche, selbstbewusster sein sollen. Dann hätte ich mir zwar hin und wieder angehört, was meine Mutter mir zu sagen versucht, aber selbst entschieden, ob ich diese Ratschläge annehme oder nicht.
Genau das hätte ich tun sollen. Hab ich aber nicht. Stattdessen habe ich ohne große Widerworte immer nachgegeben. Von jeher war es daher so, dass meine Mutter am längeren Hebel saß, wenn Unmut zwischen uns aufkam. Ich möchte wetten, eine Tochter mit auch
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