Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
vor!
Muddis Worte sind wie Balsam auf meinen knurrenden Magen. Endlich, endlich hat einer erkannt, was ich ihnen schon längst gesagt hätte, wenn sie meine Sprache verstünden. Ich sehe wunderbare Bilder vor meinem geistigen Auge aufsteigen. Eines davon zeigt mir herrlich duftendes Putenoberkeulenfleisch mit knuspriger Haut. Ich stelle mir vor, wie ich mich mit Schwung auf eine dieser Keulen stürzen würde, wenn sie plötzlich vom Tisch fiele! Aber leider passiert so etwas selten. Sehr selten!
»Der Aaarme!«, höre ich Muddis teilnahmsvolle Stimme. »Jetzt denkt er bestimmt: ›Wieso geben die mir denn nichts ab?‹«
Genau! Unfassbar, wie gut Muddi mich versteht! Viel besser als mein Rudel Laszlo, Laura und Philipp. Und dass ich mit meiner Einschätzung recht habe, merke ich prompt.
»Muddi, der Hund denkt gar nix«, sagt Lazlo gefühllos. »Der will nur das gesamte Kilo Fleisch auf einmal herunterschlingen, es wieder auskotzen, abermals aufessen, um es dann wieder …«
Ich schnaufe laut.
»Habt ihr das gehört? Jetzt hat er geseufzt!«
Und ohne dass es einer merkt, schiebt mir Muddi ein kleines Stückchen Pute ins Maul! Und das, obwohl es in diesem Hause strengstens verboten ist, mich vom Tisch aus zu füttern!
Ach, ich liebe Muddis Renitenz! Sie ist so unglaublich eigen, zelebriert den anderen gegenüber ihr selbstbestimmtes Handeln und verstößt gegen alle, mir vollkommen sinnlos erscheinenden Regeln in diesem Haushalt.
Ja, Muddi ist mein großes Vorbild. Ich bin begeistert, dass sie mir jetzt auch noch den Rücken krault! Und hinter den Ohren streichelt sie mich auch … Als ich mich auf den Rücken lege und meinen rechten Schenkel zur Seite klappe, krault sie mir sogar noch das Bein. Da juckt es immer besonders, vor allem jetzt, im Frühling, weil ich anscheinend eine Allergie gegen Gräser habe.
Wenn ich durch das hohe Gras auf unserem Gassiweg laufe, versammeln sich sämtliche Graspollen auf meinen Schenkeln und fangen an zu jucken, sobald ich zur Ruhe komme. Und mal ehrlich … Würden Sie Ihren Oberschenkel kratzen können, wenn Sie keine Hände zur Verfügung hätten, sondern lediglich Ihr Gebiss?
Auch wenn jetzt der Rest des Rudels es mir nachmacht und laut seufzt und zudem noch böse mit den Augen rollt – Muddi und ich, wir beide haben den Sinn des Lebens verstanden, wir zwei sind ein Team, in guten wie in schlechten Zeiten.
Wenn Muddi möchte, darf sie gern für ein, zwei Minuten an meinem Ochsenbeinchen knabbern. Ich sehe schon, wie neugierig sie es aus den Augenwinkeln betrachtet …
Und ich weiß genau, was sie denkt: Wenn ich jetzt einen Moment lang alleine wäre, würde ich dieses Ochsenbeinchen verschlingen, ausspucken, wieder schlucken, ausspucken und wieder …
19
»Laura, ich hab ein Paket bekommen!«
M uddi leidet sehr unter ihrer Einsamkeit.
»Das Schlimmste ist, Laura, dass ich den ganzen Tag nichts zu tun habe«, sagt sie oft. »Also, ich meine, theoretisch hätte ich ja genug zu tun. Ich müsste die bemalten Schränke aufräumen, im Schlafzimmer muss dringend gesaugt werden, und in der Küche ist auch mal wieder ein Großputz fällig …«
Ich verstehe meine Mutter ja. Sie hat keine echte Aufgabe, kein Hobby. Niemand ist da, mit dem sie reden könnte, außer dem Postboten von Zeit zu Zeit, mit den Leuten von der Tankstelle oder mit ihren Mietern, die ab und zu auf einen Kaffee vorbeikommen und mit Lorenzo immer eine Menge Leben in Muddis Haus bringen. Und natürlich besuche ich sie einmal in der Woche. Die meiste Zeit ist sie jedoch allein.
Wenn sie allein ist oder einen Moment vergisst, dass noch andere anwesend sind, redet sie oft mit sich selbst. Sie flucht, wenn der Kandidat bei Pilawa eine Frage nicht beantworten kann und sie die Lösung bereits kennt, wenn die Frage gestellt wird oder die Antwortvorgaben auf der Mattscheibe erscheinen. Oder sie kommentiert bissig, was sie in der Zeitung über Lothar Matthäus und dessen neueste Freundin liest; die ist natürlich noch mal fünf Jahre jünger als die vorherige. Dass niemand ihr zuhört, stört Muddi kaum – wenigstens hört sie in der Stille sich selbst.
Auch wenn ich es nicht ändern kann, tut es mir leid für sie, und so versuche ich ihr hin und wieder eine Freude zu machen.
Seit Wochen schon weiß ich, dass sich der Bezug ihrer fünfzehn Jahre alten Nackenrolle, den sie einst »teuer bezahlt« hat, quasi in seine Bestandteile auflöst.
»Laura, wir müssen mal wieder zu Stackmann fahren und gucken, ob
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