Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
silbernen Kerzenhalter – du weißt doch, den mit der Rosenverzierung von Tante Bertha …« Sie hält kurz inne. »Gott, weißt du noch, als Tante Bertha zu Besuch war und nicht mehr vom Stuhl aufstehen konnte, weil sie mit ihrem dicken Hinterteil darin festgeklemmt war?«
»Ja, ich weiß«, sage ich ein wenig genervt. Meiner Mutter fällt beim Erzählen eines Erlebnisses aus jüngerer Vergangenheit immer noch mindestens ein weiteres aus längst vergangenen Zeiten ein. Es ist dann immer immens schwer, sie zur eigentlichen Geschichte zurückzuholen. »Was war jetzt mit den Schlüsseln, Muddi?«, hake ich nach.
»Ach so, ja!«, sagt sie und fuchtelt dabei mit dem Messer in der Luft herum. »Also. Ich wollte den Kerzenhalter von Tante Bertha … die war aber auch fett, Laura!« Mit weit ausgebreiteten Armen beschreibt sie den Poumfang meiner Großtante, die bereits vor zehn Jahren verstarb, Gott hab sie und ihren Popo selig! »Und als sie sich einmal auf unseren alten arabischen Sitzsack setzte, sind bei dem die Nähte gerissen. Puff! Die gesamte obere Naht war auf, und man konnte die Holzwolle sehen, Laura. Stell dir das mal vor!«
Ich kann nun gut verstehen, weshalb Tante Bertha in den Jahren nach der Sitzsack-Explosion ihre Familie in Buxtehude nur noch äußerst selten besucht hat …
Gerade als ich meine Mutter daran zu erinnern versuche, dass sie eigentlich eine ganz andere Geschichte erzählen wollte, nämlich die von Lorenzos Schlüsselversteckaktion, kommt sie von selbst wieder auf dieses Thema zurück.
»Also, auf jeden Fall konnte ich die Sachen nicht aus dem Schrank holen, weil alle Schlüssel weg waren. Lorenzo hat die anscheinend alle abgezogen und heimlich versteckt.«
»Und wo hast du sie wiedergefunden?«, versuche ich Muddis ausführlichen Bericht zu verkürzen.
»Einer war im Badezimmer im Waschbeckenunterschrank. Der nächste bei Vati im Zimmer. Du weißt doch, dass dein Vater seinen Aquarellkasten auf dem Tisch stehen hat … oder hatte … na ja … ich lass ihn da immer noch stehen, du weißt schon. Ich wusste ehrlich gesagt schon gar nicht mehr, wo ich noch suchen sollte. Da fiel mir der Kasten ins Auge, ich hab ihn geöffnet und tatsächlich – in dem Kasten lag der Schlüssel vom Schrank! Laura, das geht doch nicht, dass der Junge mir meine Sachen wegnimmt und ich sie dann suchen muss!«
»Ja, das find ich auch, Muddi.« Obwohl ich Verständnis vorgebe, muss ich auch schmunzeln. Mir gefällt die Vorstellung, dass Lorenzo meine Mutter auf Trab hält. »Und der dritte Schlüssel, Muddi?«
Meine Mutter öffnet eine neue Packung Krabbensalat »Sylter Art« und sagt: »Du kannst es mir ruhig sagen, wenn du mal was anderes bei mir essen möchtest, Laura. Vielleicht magst du diesen Salat ja gar nicht mehr und beklagst dich bei Laszlo, dass deine Mutter dir immer die gleichen langweiligen Sachen serviert!«
»Nein, Muddi«, antworte ich etwas irritiert ob des abrupten Themenwechsels, »ist schon in Ordnung. Ich mag den Krabbensalat immer noch, mach dir keine Sorgen.«
»Ja, gut, ich mein ja nur …«
Zur Bekräftigung meiner Aussage streiche ich eine besonders große Portion Krabbenmischung auf mein Brot, lächle und frage erneut: »Und was war nun mit dem dritten Schlüssel? Wo hast du den gefunden?«
»Ja, also, das war ja der Hammer!«
Hammer?! Für einen kurzen Moment glaube ich, mich verhört zu haben. Dann fällt es mir wieder ein. Immer wenn Muddi etwas besonders hervorheben will, gleitet sie in einen recht jugendlichen Jargon ab. Sie benutzt dann die Worte einer Generation, die ihrer Ansicht nach kaum noch in der Lage dazu ist, sich normal auszudrücken. Sie vertritt sogar ganz vehement die These, »dass neunzig Prozent aller Jugendlichen beinahe Analphabeten sind …«
»Ich hatte schon alle Zimmer im Haus durchsucht, Laura. Aus purer Verzweiflung bin ich dann in den Garten gegangen, hab mich so umgesehen und wollte noch schnell meine knallrote Geranie, die übrigens ganz wundervoll blüht – hast du gesehen, wie die blüht, Laura? –, also, die wollte ich noch schnell gießen, bevor Wer wird Millionär? anfängt. Und als ich die Gießkanne in die Hand genommen hab, hab ich gemerkt, dass da etwas drin ist!« Eine kurze Pause entsteht, weil Muddi sich Krabbensalat auf den Rock gekleckert hat und den entstandenen Fleck stöhnend mit einer bunten Papierserviette wegwischen will. »Und was meinst du, was da in der Kanne drin ist?«, fragt sie dann.
Ich ahne es.
»Der
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