Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)
sind die Töchter da. Dass die eigene Tochter, wenn sie erst einmal verheiratet ist oder in einer festen Beziehung lebt, anderweitig verpflichtet ist, stört Mutti wenig. Auch wenn sie von ihrem Partner Druck bekommt, wenn sie sich zu sehr in ihrer alten Familie einbringt, erwartet Mutti, dass die Tochter wiederkommt, wenn es so weit ist.
Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen: Im Dezember 2009 waren in Deutschland 2,34 Millionen Menschen pflegebedürftig – 16 Prozent mehr als bei der ersten Zählung im Jahr 1999. Sie zeigen aber auch, dass Männer und Frauen eine völlig unterschiedliche Lebenswirklichkeit im Alter haben. Einerseits als direkt Betroffene: 67 Prozent, also gute zwei Drittel der Pflegebedürftigen, waren Frauen. Aber auch in ihrer Rolle als pflegende Angehörige. Mit einem Anteil von 69 Prozent wird die große Mehrheit der pflegebedürftig gewordenen Alten zu Hause durch die Angehörigen versorgt. Das wird schnell zu einem Vollzeitjob und mehr, zumal nur in einem Drittel der Fälle die Hilfe ambulanter Pflegedienste zur Verfügung steht. Erfahrungsgemäß werden die hochbetagten Männer meist von ihren Ehefrauen versorgt, die Frauen dagegen leben mit ansteigendem Alter zunehmend in Witwenschaft. Spätestens dann sind die Kinder gefragt; und es ist meistens die Tochter oder die Schwiegertochter, die dann die pflegebedürftige oder gar bettlägerige Mutter versorgt. Zu diesem Ergebnis kommt auch der Diskurs »Wenn die Töchter nicht mehr pflegen …« der Friedrich-Ebert-Stiftung vom September 2009: »Frauen pflegen häufiger als Männer, die familiäre Verpflichtung als Partnerin, als Tochter oder Schwiegertochter ist stärker als die der Männer, die allenfalls als Partner pflegen« und »ebenso wie die private Pflege älterer Menschen ist auch die berufliche Pflege eine weiblich konnotierte und überwiegend durch Frauen praktizierte Tätigkeit«.
Auch in der Frage der Sicherstellung eines ruhigen Lebensabends gehen Mütter also selektiv und durchaus ökonomisch vor. Der Sohn nimmt die Brieftasche in die Hand, die Tochter den Waschlappen. Es ist aber nicht nur die Versorgung im Alter, die sich die Muttis sichern wollen, wenn sie ihre Kinder nicht flügge werden lassen. Der andere, entscheidendere Grund ist eine tief sitzende Angst. Es ist die Angst vor dem Kontrollverlust.
Zwei Schwache im Ring
Paul ist frech gewesen. Am Frühstückstisch hat es einen Zwergenaufstand gegeben. Er wollte die Schokopops und nicht die Vollkorn-Haferflocken. Eigentlich hatten Mama und er sich geeinigt, dass es beides abwechselnd gibt. Aber heute standen trotzdem die blöden Biodinger auf dem Tisch, obwohl er sie gestern schon heruntergewürgt hatte. Paul hat protestiert und patzige Dinge gesagt, und Mama war furchtbar traurig. Das hat ihm wiederum ein schlechtes Gewissen gemacht, auch wenn er das niemals zugeben würde.
Als er aus der Schule kommt, ist er immer noch bedrückt. Alles Mögliche arbeitet in ihm: Er ist sauer, fühlt sich betrogen, aber am meisten tut es ihm leid, dass Mama so enttäuscht war. Trost suchend schleicht er in die Küche. Dort steht Mutti am Herd, kocht für ihn, hat keine Zeit. »Gleich gibt’s Essen«, sagt sie zu Paul, ohne sich umzudrehen. Mit hängendem Kopf dreht Paul ab und geht in sein Zimmer. Sofort fällt ihm auf, dass sein Kuscheltier nicht auf seinem Kissen liegt.
Er stürzt zurück. »Wo ist mein Biba?«, fragt er voller Panik.
»Ich musste ihn waschen, er war dreckig.« Mama schaut Paul immer noch nicht an. »Du kannst nicht mit so einer Bazillenschleuder im Bett schlafen!«
Paul wird es eiskalt. Als er ins Badezimmer geht, empfängt ihn ein Schwall feuchtwarmer Luft. Die Waschmaschine ist schon längst ausgeräumt, und der Trockner rumpelt auf Hochtouren. Durch das Fenster sieht er, wie sein geliebtes Frotteetier im heißen Luftstrom herumgewirbelt wird. Dabei hatte Mutti noch vor Kurzem gesagt, dass er das Tier nicht mehr so oft anfassen soll! Schließlich ist es nach sechs Jahren Dauereinsatz fadenscheinig geworden und droht auseinanderzufallen.
Paul ist vernichtet. Er hockt sich weinend vor den Trockner und hofft mit bebendem Herzen, dass Biba die Prozedur überlebt – in einem Stück.
Mobbing ist eine besonders wirksame Form des Niedermachens. Denn der Betroffene ist wehr- und machtlos. Das hämische Grinsen, mit dem die Zielperson aus den Augenwinkeln beobachtet wird, das Verstummen von Gesprächen, sobald sie sich zu einer Gruppe gesellt, das
Weitere Kostenlose Bücher