Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)
längere Phase der Veränderung und gezielten Aufmerksamkeit erfordern, bis eine Mutti in der Lage wäre, wahrzunehmen, was sie selbst fühlt und was ihr wichtig ist. Die meisten Muttis brechen eine Expedition ins unbekannte Neuland dann auch schnell wieder ab, weil ihnen jede Veränderung Angst macht.
Mutti ist überall
Was die Mutti nicht kann, kann sie ihren Kindern nicht vermitteln. Wer selbst nicht gelernt hat, zu seinen Gefühlen zu stehen und Widerspruch auszuhalten, kann Kinder nicht zu einer eigenen Meinung ermuntern. Ein selbstbestimmtes Leben wird so schwierig, wenn nicht unmöglich gemacht.
Wer als Kind nie für sich selbst einstehen durfte und nie eine eigene, differenzierte Sicht der Dinge entwickeln und nach außen vertreten konnte, wird auch als Erwachsener nicht aufbegehren. Von Mutti erlernen Kinder schon in den ersten Lebensjahren genau die Verhaltensmuster, mit denen sie Macht aushalten – oder selbst einmal Macht ausüben können.
Und in der Schule wird das nicht besser. Widerspruch wird oft nicht gefördert, Individualität und eigenwilliges Verhalten werden nicht belohnt. In den ersten Schuljahren sind Lehrer selten. Die Grundschule ist fest in weiblicher Hand. Viele von den Grundschullehrerinnen hatten selbst Muttis als Mutter, und nun wiederholen sie das Muster. Und die meisten Kinder verinnerlichen sehr schnell: Wer brav ist und sich in die Regeln einpasst, wird gelobt. Wer nicht mitzieht, bekommt Schwierigkeiten. Wiederholen, umschulen, abschulen. Hinzu kommt: In den ersten Klassen marschieren die Muttis der Kinder meist noch Hand in Hand mit den Lehrerinnen.
Aber ich will den Frauen nicht die Schwarze Petra zuschieben. Auseinandersetzungen können an den Schulen auch wegen Widerstand vonseiten des männlichen Personals viel zu oft nicht in direktem Kontakt ausgetragen werden. »An unserer Schule gibt es keine Konflikte«, erklärte der Schulleiter meiner früheren Frau, einer Gymnasiallehrerin. Mit diesen Worten brach er eine erfolgreich laufende Mediation zwischen Schülern und Lehrern ab. Und der damals für Weiterbildung zuständige Dezernent im Düsseldorfer Regierungspräsidium bestätigte diese Linie in einem amtlichen Ablehnungsschreiben auf meine Anregung zu einer schülerzentrierten Selbsterfahrungsgruppe (Balintgruppe) für Lehrer: »Ich verbiete jedes Weiterbildungsprogramm, in dem es um Gefühle geht. Denn Gefühle haben im Schulalltag nichts zu suchen.« Wo denn dann?, frage ich mich als Psychoanalytiker. Nicht in der Schule, nicht zu Hause?
Die vielen Muttis unter den Müttern der Schüler regieren bis in die Klassen hinein und bestimmen, wie ihre Augensterne unterrichtet werden sollen. Eine Lehrerin erzählte mir, dass sich die Mutter eines Schülers direkt beim Schulamt in Köln über sie beschwert habe, ohne mit ihr oder ihrem Schulleiter auch nur den Versuch zu unternehmen, über den Vorfall zu reden oder ihn gar gemeinsam zu klären. Von ihrem Schulleiter sei sie auf ihre Beschwerde hin zurechtgewiesen worden. Sie habe sich sogar sagen lassen müssen, dass es eine Anweisung des Schulamtes Köln gebe, nach der jeder Schulrat eine Beschwerde führende Mutter direkt zu empfangen habe. Und das, ohne vorher Rücksprache mit dem betroffenen Klassenlehrer oder dem Schulleiter halten zu müssen. Ein solches Vorgehen raube ihr und ihren Kollegen, klagte mir die sehr engagierte und bei ihren Schülern und Eltern auch beliebte Lehrerin, zuerst die Autorität und dann die letzte Motivation.
Und wie viele Lehrer sind selbst authentische Persönlichkeiten? Aufrecht und in Einklang mit ihren Gefühlen, konfliktfähig und konfliktbereit? Allzu viele sehe ich in meiner Praxis mit sich hadern.
Cornelia, eine 56-jährige Lehrerin, engagiert sich seit Jahrzehnten in ihrer Schule für Toleranz und Aufgeschlossenheit. Sie trägt schicke Kleider, auffälligen Schmuck und einen praktischen Kurzhaarschnitt. Von hinten würde ich sie gut und gerne 20 Jahre jünger schätzen, auch wegen ihres flotten Gangs. Sie ist an allem lebhaft interessiert und wirkt sehr aufgeschlossen: »Ich bin mit der 68er-Bewegung groß geworden, die 70er-Jahre waren meine Zeit, da habe ich viel experimentiert. Ich hatte aufregende Partnerschaften und war immer offen für Neues. Ich habe ja noch diesen ganzen Muff und die Prüderie meiner Eltern und Verwandten erlebt – also das ist heute viel freier und ungezwungener, darüber bin ich wirklich froh. Man kann inzwischen über alles reden. Und ich finde es toll,
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