Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)
sympathische Rolle des Davids klammern, der dem bösen Goliath gegenübersteht, oder die Rolle des Robin Hood, der sich tapfer gegen die Ungerechtigkeit der Übermacht stellt: In Wahrheit ist das Protestieren gegen die Staatsgewalt längst mehrheits- und gesellschaftsfähig.
Doch meiner Meinung nach üben auch die Demonstranten Gewalt aus. Sie nötigen Zugfahrer und Polizisten und nehmen billigend in Kauf, dass Menschen verletzt werden. Die Verzögerung des Castortransports und der Aufwand, bis Techniker der Bahn das Gleisbett wieder stabilisiert und jede Schraube überprüft haben, kosten Millionen.
So wird die Welt nach Gusto in Gut und Böse eingeteilt – je nachdem, wo jemand Gewalt sehen will und wo nicht. Solange wir nicht selbst betroffen sind, können wir alle scheinheilig tun. Aber jeder, der körperlich angegriffen wird, ist froh, wenn es jemanden gibt, der den Angreifer von ihm runterzieht.
Oder wie ist das, wenn der Polizist, der gestern noch mit dem Wasserwerfer auf Demonstranten zielte, heute als Geiseln genommene Bankkunden aus den Klauen der Bankräuber befreit? Schließlich muss die Polizei dafür mit martialischem Aufgebot anrücken und Gebrauch von ihren Schusswaffen machen. Die Geiselnehmer werden dabei vielleicht verletzt, in manchen Fällen sogar erschossen. Ist das böse? Ist das Gewalt? Ist Gewalt überhaupt böse?
Nein, Gewalt ist nicht böse. Es ist mit ihr so wie mit dem Messer, das sowohl zum Aufschneiden eines Brotlaibs als auch zum Bedrohen oder Ermorden eines Menschen verwendet werden kann. Deswegen ist ein Messer nicht schlecht oder böse, sondern höchstens die Absicht, mit der es benutzt wird.
Das Zusammenleben in einer Gesellschaft ist gar nicht möglich ohne Gewaltanwendung! Und sei es nur, um sich gegen die Gewalt der anderen zu wehren – aktiv oder im passiven Widerstand. Was sind denn Gefängnisse? Sie üben Gewalt aus gegenüber den Inhaftierten, schränken ihre Bewegungsfreiheit durch Mauern und Wärter ein. Mit dem gesellschaftlich akzeptierten Zweck, die Aggression von Verbrechern einzudämmen, die Gemeinschaft vor ihnen zu schützen und, wenn möglich, einen Lernprozess einzuleiten, der künftige Gewalttaten verhindert. Manchmal muss einfach Gewalt angewendet werden! Das zu verleugnen ist dumm. Anstatt Gewalt zu verdammen und die Situationen, wo sie doch nötig ist, einfach auszublenden, ist eine differenzierte Betrachtung notwendig.
Ebenso verhält es sich mit dem Begriff der Aggression. Aggression ist ein bestimmtes Verhaltensprogramm, das evolutionsbiologisch überlebensnotwendig ist. Die rein negative Bewertung von Aggression ist heute innerhalb der Psychotherapie nicht mehr haltbar. Aggression wird betrachtet als notwendige Form der Erregung, um Hindernisse zu beseitigen oder sich etwas anzueignen; allgemein als aktives Verhalten, das dazu dient, ein bestimmtes Ziel zu erreichen und sich selbst zu behaupten. Aggression ist somit einfach nur das Gegenteil von Passivität und Zurückhaltung. Der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich definierte Aggression als alles, was durch Aktivität eine innere Spannung aufzulösen sucht. Destruktiv, also schädlich, wird Aggression erst durch bestimmte Umstände, in denen es Opfer der Aggression gibt.
Aggression ist eben nicht nur, einem anderen Menschen die Nase zu zertrümmern. Aggression ist auch: »So geht das nicht« zu sagen und sich damit selbst zu behaupten. Deutlich für seine Belange einzustehen. Einspruch zu erheben, wenn einer einen falschen Nebenkostenbescheid vom Vermieter bekommen hat. Auch bereit zu sein, für die gute und gerechte Sache zu streiten, ist Aggressivität. Diese kann natürlich unterschiedlichste Ausmaße annehmen – vom ruhigen entschiedenen Darlegen des eigenen Standpunkts über den bitterbösen Brief bis hin zum jahrelangen erbitterten Rechtsstreit. Das alles ist aggressiv.
Aggressives Verhalten fängt genau genommen schon frühmorgens beim Aufstehen an. Sich den Ruck zum Aufstehen zu geben bedeutet für viele, sich gegen den inneren Schweinehund unbarmherzig durchzusetzen. Und damit einen Rahmen zu schaffen, um den Tag sinnvoll zu gestalten. Sich selbst oder andere zu einer Tätigkeit zu zwingen, zu der man gerade wenig Lust hat, erfordert Aggression. Und Disziplin ist unbedingt nötig, wenn etwas Positives nicht nur angefangen, sondern auch zu Ende gebracht werden soll. Konstruktive Aggressivität führt zu Willenskraft, Disziplin und Ausdauer. Nicht umsonst heißt es »etwas in Angriff
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