Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)
nehmen«.
Aggression ist der Treibstoff für das fundamentale Bedürfnis nach konstruktiver Entfaltung. Wenn dieser Entfaltungsdrang jedoch so weit geht, dass andere in nicht vertretbarem Maße in Mitleidenschaft gezogen werden, wird Aggressivität destruktiv. Ob jemand das Recht hat, als Ausdruck persönlicher Entfaltung nackt durchs Wohnviertel zu joggen und andere mit dem Anblick zu belästigen, kann noch diskutiert werden. Aber wer die stattliche Tanne im Nachbargarten fällt, weil sie nachmittags den eigenen Garten in Schatten taucht, zerstört nicht nur die nachbarschaftliche Beziehung, sondern vergreift sich auch am Eigentum anderer.
Die entscheidende Frage ist also nicht, wie man die Welt von der Aggression befreit, sondern ob sie destruktiv oder konstruktiv ist.
Zur Aggressivität zu stehen ist wichtig! Wir brauchen die positive Aggressivität, um die negative zu stoppen. Die Schmerzgrenze zwischen dem, was erlaubte, konstruktive Aggression ist und was verbotene, destruktive, wird von jedem Menschen anders empfunden. Was erlaubt, was entschuldbar und was unverzeihlich ist, muss immer wieder am Einzelfall festgemacht werden. Deshalb ist es so wichtig, dass der Rahmen in vernünftiger Weise verbindlich vorgegeben wird. Die gesellschaftliche Realität sieht aber anders aus.
Die Tyrannei des Friedens
Maximilian hat Leo in den Schwitzkasten genommen. Um sie herum tobt der Lärm des Schulhofs. Große Pause in der Grundschule Hintertupfing. Ein paar Kinder stehen um die zwei Jungen herum und schauen interessiert zu. Jetzt versucht Leo gegen Maximilians Schienbein zu treten, aber der weicht aus. Dabei rutscht Leo aus seinem Griff, und die Rangelei geht weiter. Beide schieben und drücken, greifen und zerren. Schließlich schafft es Max erneut, Leo zu packen und unter den Arm zu klemmen.
»Sag Entschuldigung, sag es!«
Leo sträubt sich. Max drückt fester zu, bis Leo schließlich doch »Tschuldigung« murmelt.
»Sag, dass du nie wieder meine Sachen kaputt machst!«
In diesem Augenblick kommt die Lehrerin dazu. »Was ist denn hier los? Aufhören! Hört sofort auf! Maximilian, lass den Leo los!«
Widerstrebend lösen sich die Jungen voneinander. Keuchend stehen sie da und schauen die Lehrerin an wie begossene Pudel.
»Aber Frau Bornefeld, der Leo hat mein Lineal zerbrochen!«
»Das war doch nur ein Versehen«, verteidigt sich Leo.
»Nix Versehen! Du hast es über die Tischkante gelegt und mit voller Kraft draufgedrückt, bis es gebrochen ist!«
»Mir egal, wer was gemacht hat«, fährt Frau Bornefeld dazwischen. »Gewalt ist keine Lösung!« So hat sie es im Kurs zur Gewaltprävention gelernt. Dass es wichtig ist, Gewaltsituationen schon im Keim zu ersticken, damit sich gar nicht erst ein aggressives Verhaltensmuster bilden kann. »Hier wird nicht gekämpft. Ihr seid doch vernünftige Jungs, das habt ihr doch nicht nötig. Über so was muss man miteinander reden! Leo, du lässt in Zukunft die Schulsachen von deinen Klassenkameraden in Frieden. Maximilian, du fasst Leo nie wieder an. Verstanden? Und jetzt gebt euch die Hand! So, jetzt ist alles wieder in Ordnung.«
Frau Bornefeld zieht mit sich zufrieden ab. Die beiden Jungen schauen ihr bedröppelt hinterher. Bevor er sich abwendet, haut Leo dem Max noch schnell seinen Ellenbogen in die Seite. Der Streit ist noch lange nicht zu Ende.
Gerade im schulischen Umfeld wird jede Form von Aggression undifferenziert als schädlich angesehen und wo immer möglich ausgemerzt. Dabei wird nicht unterschieden, ob es sich um eine Situation handelt, in der Kinder Konflikte sinnvoll austragen und klären – oder ob jemand ernsthaft zu Schaden kommt. Ob es sich um die Antwort auf ein mutwillig zerbrochenes Lineal handelt oder um die Untat einer ganzen Horde von Gleichaltrigen, die aus Spaß an der Macht über einen Einzelnen herfällt und die Schläge und Tritte auch noch mit dem Handy filmt.
Also dürfen Kinder nicht ausprobieren, wer von ihnen der Stärkere ist. Dabei werten viele Experten solche spielerischen Aggressionen unter Kindern als unentbehrlich für ihre Entwicklung. Auch das Familienhandbuch des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen betont, wie wichtig es ist, dass Kinder sich austesten und erfahren, wie weit ihre Kräfte reichen. »Man kann sogar sagen, dass Aggressionen teilweise dazu benutzt werden, Kontakt aufzunehmen bzw. zu festigen«, heißt es dort. Immerhin ist die Grundbedeutung des Wortes Aggression im
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