Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)
nicht weiterentwickeln. Das mit Inhalt gefüllte, reife und entwickelte Ich gibt es unter Mutti nicht. Nur das konsumierende, fordernde Ich. Dann macht es auch nichts aus, dass es kein Vorher und Nachher gibt, sondern nur noch das Immer. Dass es nicht mehr ein »Ich« und ein »die anderen« gibt, sondern nur noch die Masse.
»Ich war’s nicht«, ist ein Kindersatz, der sich auch in der Erwachsenenwelt großer Beliebtheit erfreut. Wenn etwas schiefgeht, gibt es zwei Möglichkeiten. Erstens zu sagen: »Das ist jetzt halt so passiert. Shit happens .« Diese an östlicher Weisheit orientierte Einstellung ist unserer westlichen Kultur aber dem Wesen nach fremd. Auf analytisches Denken getrimmt, wollen wir immer die Gründe wissen, warum etwas so ist, wie es ist. Daher bleibt – zweitens – für die Schuldfrage nur noch eine Antwort übrig: Die anderen waren es.
Der Nichttäter als Opfer
Der französische Philosoph Pascal Bruckner beschreibt in seinem Buch »Ich leide, also bin ich«, wie Menschen ihr eigenes Versagen oder Unvermögen, ihr Leben in den Griff zu bekommen, dadurch kompensieren, dass sie andere dafür verantwortlich machen. Wer nicht die Arbeit findet, die er gerne hätte, schimpft wahlweise auf die Wessis, die Ossis, die Ausländer oder die Billiglohnländer, die sie ihm angeblich wegnehmen. Oder auf die Vorurteile der Arbeitgeber und den allgemeinen Filz und Klüngel, die einem Einzelnen keine Chance lassen. Wer einen gut bezahlten Job hat, sieht sich als Leistungsträger der Gesellschaft, von dessen Steuern die »Sozialschmarotzer« leben. Wer eine weniger gut bezahlte Arbeit hat, schimpft auf ausbeuterische, unterdrückende Arbeitgeber. Die wiederum halten ihre Angestellten für faul und unfähig und beklagen die Verluste, die ihnen dadurch entstehen. Bürger schimpfen über korrupte Politiker, Politiker über verständnislose Bürger.
Gesichtslosen Systemen die Schuld zu geben ist bequem. Denn dann muss man sich nicht mit einer Einzelperson auseinandersetzen und Kritik riskieren. Wenn Eltern und Lehrer unisono auf das Schulsystem schimpfen, ist das energiesparender, als wenn sie miteinander nach Lösungen suchen würden. Ärzte und Patienten ziehen über das Gesundheitssystem her, das nicht genügend Leistungen bezahlt; im nächsten Atemzug werden dann wieder die hohen Beiträge zur Krankenversicherung beklagt. Und in der Katerstimmung nach dem Wahlsonntag ist von Parteien aller Couleur immer wieder zu hören, dass das Wahlsystem sie benachteiligt habe.
Hans und Hänschen
Wenn schon in der Kindheit die Weichen falsch gestellt wurden, ist meist nur noch wenig daran zu ändern. Aus Menschen, die die Rolle des Opfers und Mitläufers verinnerlicht haben, wird ohne Therapie niemals ein mündiger Bürger werden. Die Erziehung zu Verantwortung muss also bereits im Kindesalter stattfinden. Eine Mutti wird allerdings kaum von allein auf die Idee kommen, ihr Kind abweichend von allem, was sie selbst als Kind gelernt hat und wie sie die Welt sieht, zu einem selbstbewussten und verantwortungsvollen Menschen und Bürger zu erziehen. Sie braucht Hilfe von außen.
Das aber trifft den Nerv. In alles soll und darf sich der Staat einmischen. Aber bitte nicht in die Kindererziehung. Er soll Kindergarten und Krippenplätze bereitstellen. Aber keinesfalls inhaltlich einwirken. Sollte eine Institution es wagen, Müttern Vorgaben machen zu wollen, wie sie ihre Kinder zu erziehen haben, wäre das Geschrei groß.
Dabei gibt es längst Kontrollsysteme für die Erziehung. Wenn zum Beispiel eine Tagesmutter oder ein Tagesvater Kinder betreuen will, sieht er sich strengen Richtlinien ausgesetzt. Er braucht eine Erlaubnis zur Kindertagespflege, die allein vom Jugendamt vergeben wird. Dieses prüft, ob die Räume, in denen sich die Kinder aufhalten werden, sicher, sauber und freundlich sind und genügend Platz für Spiel und Ruhe bieten. Natürlich wird auch darauf geachtet, dass die Frau beziehungsweise der Mann zur Kindererziehung geeignet ist. Die Tagesmutter soll sich mit Pädagogik auseinandersetzen, Erfahrung und Freude im Umgang mit Kindern haben, auf körperliche und seelische Gewalt verzichten und zuverlässig, belastbar, verantwortungsbewusst und ausgeglichen sein. Außerdem muss sie organisieren können und mit den Eltern der Kinder gut zusammenarbeiten.
Dieser Strauß an Anforderungen gilt für jemanden, der Kinder nur stundenweise aufnimmt. Gegenüber dem, was viele leibliche Eltern als Duo infernale aus
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