Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)
Trance löst Bernhard seinen Gurt und steigt aus. Eine Ampel bestimmt, wer Grün hat und wer stehen bleiben muss. Sie hat die totale Kontrolle. Es gibt nur zügiges Durchfahren oder Stehen, richtig oder falsch, Fahrer und Rumsteher. Dazwischen ist nichts. Irgendwann ist sie programmiert worden, und dann macht sie ihr Ampelleben lang tagaus, tagein genau das, was ihr eingegeben wurde.
Solch ein Metallding mit ein paar Drähten und Platinen als Innenleben hat keine Macht, ihm wird Macht zugestanden. Die Verkehrsteilnehmer könnten die Ampel jederzeit ignorieren und auf eigene Faust losfahren; sie könnte dagegen gar nichts tun. Doch Autofahrer trauen sich das nicht. Weder dann, wenn viel Verkehr ist und die Ampel gute Dienste leistet, noch nachts um halb zwei, wenn weit und breit kein anderes Auto in Sicht ist. Selbst dann bleibt der Fahrer brav vor ihr stehen.
Eine Ampel ist eine perfekte Mutti.
Mit einer Ampel ist alles geregelt – ohne sie herrscht das Chaos. Dann nimmt niemand einem die Entscheidung ab, ob man fahren kann oder nicht; keine wohlige Geborgenheit in dem Gefühl, dass man nur auf das achten muss, was die Ampel bestimmt, und alles ist okay. Schlimmer noch: Ohne Ampel würden viele Autofahrer wild drauflosfahren und Totalschaden erleiden, andere kämen gar nicht mehr vom Fleck.
Also lieber mit Ampel als ohne Ampel … So würden sich wohl die meisten Menschen entscheiden. Dass es noch eine ganz andere Möglichkeit gibt, ist ihnen gar nicht bewusst.
Das Rad der Wiedergeburt
Keinem Menschen ist von Geburt an bestimmt, ob er ein fröhliches oder ein bedrücktes Kind, ob er ein selbstbewusster oder ein in seinen Gefühlen gehemmter Erwachsener wird. Das Verhalten eines Menschen wird nur in geringem Ausmaß von seinen Genen bestimmt, viel mehr wirkt sich sein soziales Umfeld, vor allem das der ersten Lebensjahre, aus. Säuglinge werden als nachahmende Wesen in diese Welt geboren; sie imitieren ihre Bezugspersonen sofort und immer wieder. Deshalb ist es so außerordentlich wichtig, dass Mutter, Vater, Familienmitglieder, Freunde, Nachbarn und Erzieher einem Kind ein gutes Beispiel geben können. Und wenn nicht? Selbst wenn Eltern oder auch alleinerziehende Mütter sich fest vorgenommen haben, es einmal besser als die eigenen Eltern zu machen: Die unbewussten Prägungen bleiben ein Leben lang aktiv.
Beim Thema häuslicher Gewalt ist dieser nicht enden wollende Kreislauf altbekannt: Eine Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2012 ergab, dass immer noch 40 Prozent aller Eltern ihre Kinder schlagen. Aber unter den Eltern, die früher selbst unter Schlägen zu leiden hatten, sind es über zwei Drittel, die ihre Kinder körperlich züchtigen. Das Spektrum reicht von einem leichten Klaps auf den Po über eine saftige Ohrfeige bis hin zu schweren Stockschlägen. Das geschieht übrigens ganz unabhängig vom Bildungsstand der Eltern. Sie tun es, obwohl der Druck von außen groß ist – das Schlagen von Kindern wird gesellschaftlich absolut nicht gebilligt. Sie tun es, obwohl sie bewusst das Schlagen ablehnen: Dass seit dem Jahr 2000 die körperliche Züchtigung in der Erziehung per Gesetz verboten ist, finden 90 Prozent der Eltern gut. Sie tun es, obwohl sie danach regelmäßig ein schlechtes Gewissen packt: Drei Viertel aller Eltern bedauern es sofort, zugeschlagen zu haben, 80 Prozent entschuldigen sich bei ihren Kindern. Was für ein Gefühlschaos wird da sichtbar!
Was für Prügel gilt, gilt auch für fehlende echte Zuwendung und übermäßige Kontrolle. Groß gewordene Mutti-Kinder, die unter ihrer übermächtigen Mutter gelitten haben, mögen guten Willens sein, es einmal besser zu machen. Es wird ihnen immer schwerfallen, diesen Vorsatz auch wirklich umzusetzen. Selbst wenn sie der Ansicht sind, ihrem Kind zuzuhören, ihm Halt zu bieten, es nicht überzubehüten, Widerspruch zuzulassen und gleichzeitig auch auf die eigenen Bedürfnisse zu achten, ist das Mutti-Sein in ihnen angelegt. Sie merken es gar nicht, wenn sie in die eingeschliffenen Verhaltensmuster zurückfallen.
Und in der Gesellschaft geht es zu wie auf Familienebene. Unsere Gesellschaft wird von Millionen von Ampeln behindert, die ein Fortkommen unmöglich machen. Will einer mal aufs Gas treten, stoppt ihn nach wenigen Hundert Metern schon das nächste Verkehrslicht. Will einer aus dem Stau heraus, wird er so lange angehupt, bis er sich wieder in den Stop-and-go-Verkehr einordnet. Jede neu gebaute Straße wird sofort mit einer maximalen Anzahl an
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