Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)
und auf seine Signale achtet, sieht schnell, wann es Förderung und wann es Ruhe braucht. Wer sich unsicher ist, wie die Signale seines Kindes zu deuten sind, hat ein ganz einfaches Mittel zur Verfügung: fragen. Und zwar nicht nur die Experten, sondern gerade die Kinder selbst. Auch mit Säuglingen ist ein Dialog möglich. Schon lange bevor sie sprechen können, verstehen sie viel Sprache und können mit Körpersignalen reagieren: Kopf wegdrehen oder zuwenden. Die Eltern müssen allerdings lernen, das zu verstehen. Und ernst zu nehmen.
Ein Kind, dem dieser Raum zum Wachsen zugestanden wird, baut Vertrauen zu seinen Eltern auf und zu seinen sonstigen Bezugspersonen. Und es entwickelt Selbstvertrauen mit jedem selbst gesteckten Ziel, das es erreicht hat, mit jeder neuen Fähigkeit, die es erlernt. Wenn es neue Sachen dann ausprobieren darf, wenn es dafür bereit ist, sind die Chancen groß, dass sie auch gelingen. Wenn nicht beim ersten Mal, dann beim dritten oder zehnten Versuch. So wächst auch die Lösungskompetenz des Kindes.
Aber nicht nur die Eltern sind gefragt, auch die professionellen Erzieher müssen am gleichen Strang ziehen. Doch wie oft sind sie weit davon entfernt, als liebevoll-positive Vorbilder dienen zu können! Wo erfahren Erzieher die Reflexion der eigenen Kindheitsmuster, wo erwerben sie Empathie- und Dialogfähigkeit? Die Lösung bestünde auch für sie in wissenschaftlich fundierten und weltanschaulich neutralen Selbsterfahrungsgruppen. Und zwar bevor sie anfangen, mit Kindern zu arbeiten! So kann in einer ganzheitlichen Ausbildung endlich auch die Gretchenfrage beantwortet werden – ob jeder von ihnen zur Erziehung und Bildung von Kindern überhaupt geeignet ist. Danach ist berufsbegleitende, lösungsorientierte Gruppensupervision der alltäglichen Kind-Eltern-Erzieher-Konflikte eine optimale Voraussetzung für die gedeihliche Entwicklung von Kindern und Erziehern in Kindergärten und Schulen.
Selbsterfahrung und spiegelnde Rückmeldung sind für Eltern und Erzieher wichtige persönlichkeitsbildende Elemente, um die unbewussten Beziehungserfahrungen aus der eigenen Kindheit noch einmal zu erleben, zu reflektieren und zu verändern. So wird verhindert, dass sie die von Mutti übernommenen Verhaltensweisen auf die eigenen Kinder oder jene, die sie betreuen oder unterrichten, übertragen und dass diese dann im kindlichen Gehirn dauerhaft gespeichert – »vererbt« – werden. Eltern und Erzieher müssen das Kind gar nicht bewusst programmieren und prägen. Das tut es selbst, wenn man es nur lässt. Wie in dem alten Witz, bei dem jemand einen Wurf Welpen bei sich aufgenommen hat und von seinem Freund gefragt wird: »Ziehst du die alle groß?« – »Nein, ich lasse sie wachsen.«
Weiterbildung für Eltern
Wie können Eltern lernen, ihren Kindern den notwendigen Raum zu geben, damit sie optimal wachsen können? Sie müssen Informationsangebote bekommen. Dazu gibt es bereits erste Ansätze: Hebammenbesuche in den ersten Lebensmonaten des Neugeborenen und die freiwilligen regelmäßigen Gesundheitschecks – U1 bis U9 – fürs Kind. Darüber hinaus die aktuell beste Möglichkeit: Sie besuchen einen Eltern-Kind-Kurs; vom Deutschen Kinderschutzbund bis zu lokalen Nachbarschaftsvereinigungen gibt es viele Institutionen, die solche Veranstaltungen anbieten. In diese Kurse kommen all jene Mütter und Väter, die Handlungsbedarf erkannt haben. Sie sind zum Beispiel mit einem Schreikind überfordert und klug genug, die schwierige Phase nicht auf eigene Faust ganz nach Basta-Art durchziehen zu wollen. Gut, dass sie in den verschiedenen staatlichen und privaten Einrichtungen Hilfe finden.
Das Problem: Wie erreicht man unsichere und schwache Muttis, die ja davon überzeugt sind, jede Erziehungssituation allein bestens meistern zu können, wie motiviert man sie, solche Angebote anzunehmen? Genauso die Väter, die unter dem Pantoffel stehen und kaum ein tragendes Rollenbild von sich haben: Auch sie brauchen Hilfe von außen, denn sie erkennen nicht, dass sie folgsame und unterwürfige Kinder anstelle von freien Geistern großziehen. Wenn sie noch gar nicht begriffen haben, dass da noch mehr sein kann als der Wunsch, ein möglichst ruhiges und angepasstes Kind zu haben, wie sollen sie sich dann auf die Suche danach machen? Ein weiteres Problem: Viele der Förderprogramme wenden sich an Alleinerziehende, sozial Schwache oder Migranten. Schon dadurch werden sie allgemein als stigmatisierend wahrgenommen.
Weitere Kostenlose Bücher