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Mutti packt aus

Mutti packt aus

Titel: Mutti packt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lotte Kühn
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der Rest ist Privatsache des eigenen Kindes. Oder eine Bonbon tüte? Da weiß man ja nicht genau, wie viele drin sind und ob das für alle reicht. Hm. Wäre doch auch zu wenig, nur ein Bonbon für die Gemeinschaft und ein Haufen Süßes für das eigene. Vorschläge jagen Bedenken, Ideen und Anregungen fliegen durch die Luft, werden wieder verworfen. Wo sind eigentlich die ökologisch einwandfreien Industriezuckerverächterinnen, die Glutamat-Guerilleras, all die Rogg’n Roller und bekennenden Naturtrüben aus Vorschulzeiten geblieben? Wie uns die Zeiten ändern, ach! Perdu – der Chupa-Chup-Lutscher hat das gelatinefreie Gummibärchen aus Johannisbeermarmelade besiegt. Marshmallows haben das Honig-Knusperli verjagt, selbst der zuckerfreie Sesam-Dinkel-Riegel ist der überlegenen Präsenz von Push Pops, quietschsüßem Lakritzkonfekt und gemeinem Schokoriegel gewichen. War wohl auch nur eine Phase im phasenreichen Leben von Mutter und Kind. Jedenfalls kommt das unbedenkliche Bio-Sortiment, das die Wahrnehmungsfilter mütterlicher correctness erfolgreich durchlaufen hat, in der erregten Erörterung möglicher Wohltaten für die verreisten Kinder jetzt nicht mehr vor.
    Stattdessen meldet sich die stellvertretende Stellvertreterin der Elternsprecherin mit einem Blitzen in den Augen, das einer Jeanne d’Arc auf dem Weg zum Scheiterhaufen gut angestanden hätte. Die Streberin! Ihr Vorschlag, am Abreisetag in einer großformatigen Reisetasche alle Süßigkeiten bei den Eltern einzusammeln, um sie dann in einem großen Paket als tolle Überraschung an die ganze Klasse zu schicken, trifft auf erleichterten Beifall. Die wenigen Unterschichtsmütter klatschen, die mit universitärer Vorgeschichte klopfen mit den Knöcheln auf den Tisch und die mit Migrationshintergrund schauen verstört zwischen beiden Fraktionen hin und her. Geschafft! Nächster Punkt!
    Die Impfbücher und die Krankenversicherungskarten mögen in einen Umschlag gesteckt und dem Lehrer bis Freitag überreicht werden. Da meldet sich eine Mutter und fragt: Soll ich den Umschlag zukleben oder offen lassen?
    Ja, das ist eine schwierige Frage. Ich weiß es wirklich nicht und ducke mich, damit der Lehrer mich nicht drannimmt. Ein verstohlener Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich nur noch zehn Minuten überstehen muss. Und jap! Die anderen Mütter wissen die richtige Antwort auch nicht! Mit genau bemessener Güte, unterspült von milder Strenge, in die er ein freundliches Augenzwinkern tupft, vertagt der Lehrer die Frage, wir kriegen sie als Hausaufgabe mit, und dann entlässt uns die Klingel zur Hofpause. Wie ein geölter Blitz springe ich auf, nehme die Treppe im Galopp, springe aufs Fahrrad und rase nach Hause. An der Tür empfängt mich mein Erziehungsberechtigter schon im Flur. »Und Mama«, fragt er, »habt ihr die Klassenfahrt durchgenommen? Wie war’s in der Schule?« – »Gut«, sage ich knapp und schaffe es, bevor er weiter fragen kann, in mein Zimmer zu entwischen.

Bock auf Gärtnern?
    »Das soll Spinat sein, hä?«, fragt Nick und beinahe hätte er sich auch noch an die Stirn getippt. »Nee, Oma«, schnaubt er hochmütig, »das ist nur Salat! Spinat ist viereckig und gefroren!« Langsam und bedächtig taxierend richtet Nicks Oma ihren Blick auf mich – wie auf eine Schachfigur vor einem Zug. Ich winde mich unbehaglich. Oh je. Nur weil ich keinen Garten habe! Und auch keinen will! Ich geb’s ja zu: Die schöne Idee, handelnde Naturerfahrung im pädagogischen Kontext des Elternhauses anzuregen, fristet bei mir ein Schattendasein. Schuldbewusst nuschel ich irgendwas von kleinen Wohnungen in großen Städten und ganz allgemeiner Überlastung erziehender weiblicher Menschen heutzutage. Überlege kurz, ob ich mit ein paar vorwurfsvollen Bemerkungen über meine eigene schlimme Kindheit zum Gegenangriff starte. Einst zwang man mich nämlich beinhart, Unkraut zu jäten, Möhren zu pikieren und die Geranien zu gießen. Während die anderen Kinder ins Freibad oder vor den Fernseher durften.
    Zu spät: Schon prasselt die Tirade einer Grünfetischistin, Ökostalinistin und Gemüsemissionarin auf mich herab. Eine Vitaminbombe, eine wahre Fruchtriesin, meine Mutter. Für das Rohe, das in der Erde wurzelt, schlägt ihr Herz. »Gärtnern macht den Kindern Spaß!«, behauptet das bunte Buch mit imperativem Charme, das sie mir am letzten Tag unseres Besuches listig lächelnd in die Hand drückt. Nick ist begeistert und zieht seine Geschwister mit in den grünen

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