Mutti packt aus
Mahlzeiten nicht zum Exerzierfeld für Tischmanieren verkommen, haben wir in zäh durchgekauten Verhandlungen jetzt diesen Kompromiss errungen: Samstags können sie essen, wie sie wollen. Gegenleistung: Von Sonntag bis Freitag essen sie so, wie sie sollen.
Klasse, Fahrt!
»Da musst du hingehen!«, sagt mein Jüngster. »Es ist wichtig! Alle gehen dahin!« In Windeseile versuche ich Ausreden zu ersinnen, die einen Achtjährigen beeindrucken können. »Liebchen, ich weiß doch, wie Klassenfahrt geht. Und hättest du’s nicht auch lieber, wenn ich heute Abend hierbleiben würde? Wir könnten was spielen, oder sogar zusammen die Simpsons gucken …« Er schüttelt den Kopf, wiederholt unerschütterlich: »Du musst! Alle gehen dahin!« Mit den Augen nimmt er mich in die Zange. Sein Blick, kaum von einem Lidschlag unterbrochen, bringt den Planeten zur Ruhe. »Ist ja schon gut«, gebe ich mich geschlagen und heuchle pflichtbewusste Einsicht. »Ich geh ja hin! Ist ja wichtig!« Er strahlt mich kurz an, dann bewölkt sich seine Stirn. »Aber nicht wie beim letzten Mal, ja!« Er reckt den Zeigefinger. Heftig wiegel ich ab. »Nein, das mache ich nicht wieder, versprochen!« Oh je, der letzte Elternabend. Ich hatte einen befreundeten Vater mit dem Versprechen auf ein Bier bestochen, mir noch am gleichen Abend ein Gedächtnisprotokoll in Stichworten zu mailen, damit ich dem Kind beim Frühstück Bericht erstatten kann, als wäre ich dabei gewesen. War ich aber nicht. Ja, hät te ich denn die Karten fürs Konzert verfallen lassen sollen? Eben. Aufgeflogen ist das Ganze dann, weil der Sohn des befreundeten Vaters gepetzt hat. Es hat mich einen mittelschweren Aufwand an Wohlverhalten gekostet, um die Verstimmung meines Jüngsten zu beheben.
Auf dem heutigen Elternabend werden nun noch einmal alle Details der bevorstehenden Unternehmung genau be sprochen. Die Packliste des Lehrers kursiert schon seit Wo chen, Kenntnisnahme ist schriftlich bestätigt und heute Abend, erläutert der Lehrer jetzt die TOPs, gehen wir alles noch einmal genau durch: Unterhosen und Socken in ausreichender Stückzahl, einen Schlafanzug und feste Schuhe mitgeben, die Dichtigkeit der Trinkflasche überprüfen und das Kuscheltier nicht vergessen. »Klar so weit?«, fragt er wie Käpt’n Jack Sparrow. Alle Mütter nicken, schließlich will keine als dysfunktionales Exemplar erscheinen, das es an solch leibwarmer Fürsorge missen lässt und schusselig, wie es ist, das arme Kind ohne Kuscheltier in die kalte Welt schickt. Ich denke nur, ob ein zehnjähriges Kind, das sein Kuscheltier vergisst, es vielleicht einfach nicht mehr braucht, um sich fern von Mama in den Schlaf zu schnüffeln. Aber ich sage nichts, denn man soll den Unterricht ja nicht stören. Das wäre jetzt genau eine Frage zu viel, jedenfalls für einen Elternabend, an dem die mütterliche Sorge angesichts der bevorstehenden Trennung von ihren Kindern demonstrativ wogt und bebt und Blasen wirft.
Auch mahnt die Liste das Mitführen einer Brotbox an, denn so ein Gerät, erfahren wir, ist »nicht nur sinnvoll, sondern auch umweltfreundlich«. Aha. »Regenbekleidung ist Pflicht!!«, »Gummistiefel (?)« optional. Bettwäsche werde gestellt, aber »selbstverständlich kann der Lieblings-Kopfkissenbezug mitgenommen werden!« Ich atme auf, denn zu was für nächtlichen Irritationen es führen kann, wenn Zehnjährige zehn Tage lang auf einem anderen als dem Lieblingskissen schlafen müssen, kann man sich ja vorstellen.
Und das beschäftigt uns jetzt auch noch: Wer, wann und wie die Telefonkette auslöst, wenn die Nachricht eintrifft, dass die Kinderchen gut angekommen sind und was man macht, wenn die Anzurufende nicht da ist und ob man dann diese eine überspringen kann, damit die Kette nicht abreißt? Wäre ja an sich schon ein dolles Ding, wenn in den drei Stunden um den mutmaßlichen Ankunftszeitpunkt herum die Mutter nicht erreichbar wäre. Doch, so was hat man alles schon erlebt und da muss jetzt »im Vorfeld«, heißt es, genau besprochen werden, wie man sich in so einem Fall verhält. Und wie man es umgekehrt macht, damit auf der Rückreise nichts schiefgeht und die lieben Kleinen auch wirklich alle punktgenau ihren herbeigeeilten Müttern wieder in die Arme sinken können.
Ob jetzt jede Mutter einzeln ihrem Kind ein Paket mit Süßigkeiten schickt? Allerdings hat der Lehrer die Auflage gemacht, dass in diesem Fall dann für die anderen 27 Kinder auch etwas dabei sein muss. Also 28 Lutscher und
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