Mutti packt aus
gesessen, ›nette Familie‹ gegoogelt, euch gesehen und bin runtergesprungen« – »und dann hat dein Navi gespinnt?«, erkundigt sich der Jüngste mitfühlend und hat damit Ballbesitz erobert. Sie la chen sich schlapp, und ich wittere meine Torchance – die Gelegenheit, das Spiel, das ich mit dieser ungeschickten Bemerkung losgetreten habe, in unverfängliche, kindgemäße und allseits selbstwertschonende Bahnen zu leiten. Sehr gerührt lächle ich meine große Tochter an und finde sie spontan supersüß. Steilvorlage! Eindeutig mehr Poesiegehalt hat sie in ihren Worten untergebracht als meine süßlich nüchterne Version enthielt, da sie mich vor ein paar Jahren mal fragte, wo ich sie eigentlich herhätte: »Du warst ein Geburtstagsgeschenk von deinem Vater!«, das habe ich ihr damals erzählt. Und sie fand das klasse. Kicherte begeistert, als ich angespornt hinzufügte, dass ich mir nur was Kleines gewünscht hatte. Vielleicht war das nicht so geschickt, aber besser jedenfalls, unter uns gesagt, als die krude Bemerkung der Hebamme zu zitieren, die, als ich dringend nach allen Betäubungsmitteln dieser Welt verlangte, bemerkte: Wie schön im Mai die Liebe war, das merkt man dann im Februar. Für mich behalten habe ich auch, dass es sich bei dem Geburtstagsgeschenk streng genommen um den klassischen Fall einer astreinen In-vino-Fertilisation handelte.
Also mache ich weiter gute Miene zu diesem Spiel. Wie schlichte Naturvölker und stolze Nationalstaaten weben sie an ihrer Ursprungslegende, stricken Heldengeschichten, flechten glückliche Zufälle um den nackten Umstand, dass sie jetzt sind, wo sie sind. Niemals würde ich wagen, sie beim Spinnen zu bremsen. Wird die dürre Faktenlage nicht ohnehin ständig überschätzt? Die Realität gibt einfach nicht genug Futter her, um genüsslich darüber zu fabulieren, wo man eigentlich war, bevor man hier ankam. »Oh, jetzt weiß ich, wo meine Eltern mich herhaben!«, wird plötzlich ein kleines Stimmchen laut. Meine jüngste Nichte, die die ganze Zeit schweigend über ihrem Puzzle gebrütet hat, meldet sich zu Wort. Lotte heißt sie und gerade geht ihr ein Licht auf: »Ausm Lotto haben die mich!«
Da bewölkt sich die Stirn meines Jüngsten. »Warum war ich eigentlich nicht da, als die anderen schon da waren?«, fragt er bekümmert. »Weil du damals noch eine gute Idee von mir warst!«, wage ich einen lustig-finalen Vorstoß. Das lässt er nicht gelten. »Aber wir hätten doch viel toller zusammen spielen können, wenn ich schon dabei gewesen wäre!« sagt er vorwurfsvoll. Ich zucke mit den Schultern. »Gemein«, sagt er dunkel, und bevor ich ihn mit einem längeren Diskurs über den linearen Ablauf der Zeit trösten kann, wispert er: »War ich eigentlich geplant?« Schneller als ich denken kann, springen mir die Worte aus dem Mund. »Du bist gewünscht!«, und weil mir die Argumente gerade ausgehen, setze ich beherzt ein burschikoses »Und das muss reichen!« dazu. »Also doch nicht geplant!«, stellt er finster fest. »Warum hast du mich nicht geplant?« Ich hole tief Luft und frage ihn, warum er das fragt. Da sagt er, dass einer aus seiner Klasse gesagt habe, dass er geplant sei und dass es verrückt sei, mehr als ein Kind zu planen, weil man das dann später nicht bezahlen kann, was ein Kind alles braucht. Ha! Den Schuss habe ich gehört! »Wir kaufen gleich morgen neue Fußballschuhe, mach’ dir keine Sorgen! Adidas, Nike, Reebok, was du willst.« Er grinst. Für dieses strahlende Lächeln würde ich sogar hungern, um die super-sonder-special-gold-edition irgendwelcher Fußballlatschen zu kaufen.
Und während alle anderen jetzt aufgekratzt durcheinanderrufen, wie, warum und wozu sie überhaupt in dieser Familie gelandet sind, mustert mich der Älteste nachdenklich. »Schon mal überlegt, ob wir deswegen so viele sind, weil du echt keine Ahnung hast, wo wir herkommen?«
Ab ins Krankenhaus
»Hhh – ch«, macht das Kind, und die Ärztin sagt freundlich: »So war’s gut. Jetzt noch mal gaaaanz tief einatmen.«
»Hhh – ch«, macht das Kind wieder. Das Stethoskop tupft über die schmale Kinderbrust. Kundige Finger wandern über den rosigen Bauch, drücken hier und dort. »Aua«, schreit mein Kind, und die Ärztin nickt zustimmend. »Könnte sein, dass es der Blinddarm ist«, murmelt sie in meine Richtung. »Das müssen Sie beim Chirurgen vorstellen.« Ab ins Krankenhaus mit ihr und mir – ein echter Blitzstart: keine Gelegenheit mehr, eine positive,
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