Mutti packt aus
Taumel. Mir bleibt nichts anderes übrig, als der Kindergärtnerei in der Wohnung grünes Licht zu geben. Bald schon ranken Bohnen zwischen errötenden Tomaten auf jedem Fensterbrett. Im Spülbecken prangt Charlottes Kresseplantage in zartem Grün, im Bücherregal schwellen die Zucchini ihrer Schwester. Mit heiligem Ernst versucht der Jüngste, ein Gummibärchen zu pflanzen. Avocadokerne, gequollene Walnüsse und Eicheln keimen im Glas ihrer großen Zukunft entgegen: Ein Wald soll es werden. Auf dem Balkon träumen Kartoffeln in großen Töpfen von der Ernte, brüllen Löwenmäulchen bunt durcheinander, der dicke Kürbis droht zu platzen. Bevor ich durch den wogenden Actiondschungel nur noch mit der Machete an den Kühlschrank komme, muss etwas passieren. Rodung kommt nicht in Frage, der Einsatz von Entlaubungsmitteln verbietet sich aus Kostengründen. Charlotte hat eine Idee: »Draußen ist doch so viel Platz!«, erklärt sie ihren verständnislos dreinschauenden Geschwistern. »Na, auf der Straße!«, hilft sie ihnen auf die Sprünge.
Wir haben es dann einfach gemacht. Wir haben nämlich immer noch keinen Garten. Ha! Seit neuestem wird zurückgewachsen: Bedeutet Reife nicht auch, etwas zu tun, obwohl es die Mutter empfohlen hat? In einer Nacht- und Nebelaktion haben wir dem dicken Kürbis ein sonniges Plätzchen im Vorgarten des Nachbarn gesucht. Sonnenblumenkerne auf der Verkehrsinsel versenkt und ein paar Bohnenranken veranlasst, am Stoppschild hochzuklettern. Im Park einen verborgenen Winkel zwischen den Büschen mit unseren Kartoffeln bepflanzt. Zarte Kohlrabipflänzchen haben wir in die Rabatten vor dem Roten Rathaus gemogelt. Die Ränder der Rasenflächen unter nichtsnutzigen Hecken haben wir mit Möhrensamen veredelt, um die Stadthasen zu erfreuen. »Und vor der Humboldt-Universität haben wir vor drei Wochen Studentenblumen gesät«, zwitschert Nick den Stand der Dinge ins Telefon. In den Gesprächen zwischen Oma und Enkeln prangt neuerdings viel Sachverstand. Als Oma stolz vom rosaroten Blütentraum am Klettergitter ihrer Hauswand berichtet, prahlt Nick zurück: »Wir haben auch eine Clitoris auf dem Balkon. Aber unsere blüht blau!«
Der Ausrutscher
»Warum seid ihr nur so viele? Wo kommt ihr eigentlich alle her?« Uups, das ist mir jetzt echt nur so rausgerutscht. Ich meine das gar nicht so böse, wie es klingt, ich wollte nur sagen, dass es manchmal wirklich ganz schön heftig ist. »Ja, woher wohl?«, äfft der Älteste mich nach. »Woher kommen denn wohl die kleinen Babys, Mama?« Er verschränkt die Arme vor der Brust, lehnt sich zurück, schürzt die Unterlip pe, lächelt dünn und kippelt sprungbereit mit dem Stuhl. »Irgend ’ne Idee dazu?« Oh je. Es hatte ein Scherz sein sollen, der meine plötzlich kollabierende Contenance angesichts der Hiobsbotschaften des Tages (Fußballschuhe kaputt, Fünf in Mathe geschrieben, Kellerfenster eingeworfen, Haustürschlüssel verloren) wenigstens notdürftig bedecken sollte. Verunglückt. Komplett danebengegangen. Wie konnte nur diese schwarze Kröte aus meinem Mund springen? Tausende von Therapiestunden, die ich eigentlich sofort bei talentierten und diplomierten Experten für mütterliches Versagen buchen müsste, werden das nicht wieder richten können. Mir will das Herz brechen bei dem Gedanken, dass sie jetzt denken könnten, dass ich sie gar nicht haben wollte! Hastig wie ein Verurteilter vor dem Richter sprudle ich irgendwelche halbgaren Entschuldigungen und Erklärungen hervor, verhasple mich und fang von vorne an. So mache ich alles noch viel schlim mer. Denn Worte kann man leider nicht radieren, und des halb nimmt das Schicksal seinen Lauf. Die Kugel rollt, oder besser: der Ball ist im Spiel. Vier gegen M – was man aus dem Fußball als Überzahlsituation kennt, wird jetzt beinhart durchgezogen.
Der Ball wird gleich angenommen. »Also lass mal überlegen, wo könnten wir wohl herkommen?«, dribbelt mein Großer und nimmt Maß für den Pass. Meine Torchancen liegen bei null. Die Kleine grätscht rein, wirft sich in Pose und schüttelt ihre Spaghettifransen. »Wollt ihrs wissen? Also ich bin aus Schaum geboren«, zwitschert sie eifrig. »Und das ist bei mir wie bei …« – »Jaaahhh, lass stecken«, höhnt der Kinderchor. »Wir wissen, dass ihr gerade die griechischen Sagen durchgenommen habt!« Total beleidigt schaut sie aus dem Fenster, macht »phhh!«. Ihre Schwester winkt ab und eröffnet einen neuen Spielzug. »Also ich habe auf der Wolke
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