Mutti packt aus
Höchstens Tränen und Geschrei. Also – Courage, Mutter. Die Deko-Qualität im Party-Raum (vormals Küche) wird einwandfrei mit lustigen Comic-Tiermotiven gesteigert. Es gibt ein Schokoladenfondue auf golden glitzernder Rettungsdecke, dann werden beim Flaschendrehen Geschenke überreicht. Und jetzt? Eigentlich steht jetzt eine kleine gut ausgetüftelte Schatzsuche im Park auf dem Programm. Hinterher sollte noch der Plumpsack umgehen, Zeitungstanz stattfinden und nach Jerusalem gereist werden … »Oh, Manno, Mama«, das Geburtstagskind rollt genervt die Augen, als ich ein bisschen zu munter auf den nächsten Programmpunkt zustrebe. »Können wir nicht einfach mal spielen?« – »Ja, ja, spielen«, schalmeit die ganze Kinderschar und kippt die Legokisten aus.
Zuerst wurde die Bahnlinie nach Westen verlegt und musste gegen angreifende Indianer verteidigt werden. Vor dem Kühlschrank entstand ein Stellwerk, der erste Bahnhof wuchs im Flur aus dem Boden. Im Klo wäre dann der Lokschuppen und über die Schwelle bauen wir einfach eine Brücke. Bald schon sausen ICEs, TGVs und Transrapid durch den Wohnungskontinent, halten hier und da an, verunglücken ein bisschen und düsen weiter. Es kam am Ende zu beträchtlichen Verspätungen im Fahrplan, die Pommes waren noch gefroren und der Prosecco noch warm, als die ersten Mütter vor der Tür standen, aber kein einziges Kind die einfach abgefahrene Party verlassen wollte. Aber Schlimmeres ist nicht passiert.
Ganz tot
»Wir müssen jetzt ganz schnell nach Hause, damit das hier nicht auftaut!«, sage ich leichthin und verstaue das Tief kühlhähnchen mit dem ganzen anderen Kram in der Tasche. »Schon klar, Mama«, nickt meine Tochter verständnisvoll, »wenn das Hähnchen auftaut, lebt’s ja wieder, ne?« Mit schreckgeweiteten Augen starrt ihr kleiner Bruder mich an. »Ehrlich?« Während sich einige der fremden Leute um uns herum auf die Lippen beißen, spüre ich von anderen belustigte, hämische, verstohlene Blicke – na, wie wird sie denn jetzt wohl reagieren? Na, wie wohl: Ich sehe zu, dass ich Kinder und Taschen so schnell wie möglich hier raus kriege.
Auf dem Heimweg dann ringe ich um Worte. Versuche einmal mehr kindgerechte Formulierungen für das Unsagbare zu finden und mich mit heiterer Zuversicht zu wappnen, weil jetzt all die Fragen wieder auf mich einprasseln werden. Seit Tagen geht das schon so. Zuerst starb Piepchen, lag morgens mit den Beinen nach oben im Vogelkäfig. Pucki, sein Lebensgefährte, schien irritiert, verstimmt. Er wurde später richtig depressiv. Einen schwulen Wellensittich mit allen Ritualen, die das christliche Abendland für Sterbefälle vorsieht, nachts im Stadtpark zu beerdigen, ist eine Sache. Aber das ist eine andere – gelassen und in beruhigendem Ton belegbaren Sachwissens all die Fragen nach Tod und Sterben zu beantworten.
Mit naiver Zuversicht hatte ich mir vorgenommen, die letzten Dinge einfach auf mich zukommen zu lassen, dem Thema tapfer, offen und einfühlsam zu begegnen und meine Kinder vor wenig überzeugendem Herumgestotter und strengen Sprechverboten zu bewahren, mit denen die Erwachsenen meiner eigenen Kindheit mir schlimmste Schreckensbilder vom Tod ausmalten. Den Tod in das eigene Leben mit hineinzudenken und dadurch innerlich zu reifen – guter Plan! Wenn Kinder von anderen Themen eine Zeitlang besessen sind, füttern wir ihr Interesse doch auch? Also habe ich mich zusammengerissen und mit den Kindern Beerdigung mit Playmobilfiguren nachgespielt. Wir besuchten Museen, die ägyptische Grablegungskulte kindgerecht aufarbeiten. Unbeirrbar habe ich Bücher übers Sterben in der Stadtbibliothek ausgeliehen, sogar einen Besichtigungstermin beim Bestatter ausgemacht, weil die Kinder mal verschiedene Särge angucken wollten. Ist doch nichts dabei, murmelte ich mein Mantra. Man kann doch über alles reden! Aber wie konnte ich so verrückt sein, vier Kinder mit zur Beerdigung ihrer Urgroßmutter zu nehmen?
Mitten hinein in das Schweigen der Erwachsenen am Grab hatte meine jüngste Tochter sehr laut gefragt: »Und was passiert jetzt mit dem Geld von der Uroma? Wird das mit vergraben?« Unüberhörbares Räuspern, tadelnde Bli cke suchten ihr Ziel. Ich machte meinen Rücken grade. Aber musste jetzt wirklich ihre kleine Schwester besserwisserisch noch eins draufsetzen? »Wird es überhaupt gar nicht«, zwitschert sie glockenhell, stolz, dass sie sich mit Beerdigungen auch schon ganz gut auskennt, »weil, die Uroma hat doch ein
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