Mutti packt aus
malträtiert zu werden. Ohne arbeiten zu müssen, als wenn ich nicht arbeiten müsste. »Wir alle zusammen, Mama!«, kräht mein Jüngster mit vollem Mund. »Ey, wie früher!«, fällt seine Schwester ein und grapscht nach dem Ketchup. »Das hat dir doch immer so viel Spaß gemacht!«, streut der Große einen Anflug von Hohn ins Gespräch, während er betont langsam den Parmesan über die Nudeln raspelt. »Oder willst du uns vielleicht lieber loswerden, damit du deinen Spaß mit deiner Arbeit haben kannst?«, ätzt die Große ihre feinziselierten Bosheiten in meine bekennende Liebenswürdigkeit. Dann kaut sie sehr gründlich, schaut mich unverwandt an, schwingt sich zur Sprecherin der Kinderfraktion auf und knurrt: »PC-Schnupperkurs? Indianercamp in der Lüneburger Heide? Gruppen-Kajak mit Team-Coaching im Spreewald? Englisch-Workcamp am Wannsee? Benimm-bei-Tisch-Training im Nobelhotel?« Sie hebt theatralisch die Hände. »Vergiss es. Wollen wir alles nicht. Wir wollen einfach chillen und mal wieder was mit dir machen.«
Puhh. Nicht dass ich jemals solcherlei teure Ferienbespaßungsmaßnahmen vorgeschlagen hätte. Aber man darf die Rechnung nie ohne die Mitschüler machen. Von ihnen kennen sie solche Veranstaltungen, die Eltern am Rande des Nervenzusammenbruchs für ihre schulbefreiten Kinder buchen, sofern sie den Luxus genießen, den erschöpfend komplizierten Verhandlungen zum gegenseitigen Ferien-Betreuungs-Sharing aller anderen entrinnen zu können.
Und damit bin ich schon mitten drin in den Schwierigkeiten. Soll etwa ausgerechnet ich als bekennende Pädagophobin, bloß weil ich vierzehn Wochen lang in jeder Ecke der Wohnung ein Kind sitzen habe, das auf Abenteuer angespitzt ist, sollte ich mich also für die Verkürzung der Ferien stark machen? Das bringe ich nicht übers Herz, wenn ich mich an die blassen Nasen, schluffigen Schritte und hängenden Schultern in den letzten Schultagen all der vergangenen Jahre erinnere, als ich noch guten Mutes war und beste Vorsätze hegte, sie alle vier wenigstens im Sommer sechs Wochen lang mit Liebe, Freiheit und Abenteuer zu mästen. Ihnen großzügig die goldene Erinnerung endlos gedehnter Zeit schenken wollte, die meine Erinnerung an die Sommerferien meiner Kindheit magisch umweht. Sechs Wochen keine Schule, war jemals ein Satz verheißungsvoller als dieser?
Wenn ich jetzt nur die Zeit dafür hätte. Oder wenigstens das Geld nicht bräuchte, das ich in der Zeit verdienen müsste, anstatt zu klettern, zu schwimmen und Rad zu fahren, Feuer zu machen und dabei nach Leibeskräften zu lieben, frei zu sein, Abenteuer zu erleben und auch das Erziehen einfach mal sein lassen zu können. Gemeinsame Zeit zweckfrei zu genießen! Heißt das nicht, den paradiesischen Garten der Lebensfreude zu wässern?
Liegt bei so vielen guten Absichten der Fehler nicht ei gentlich im System? Vielleicht müsste man, anstatt die Feri en der Kinder zu verkürzen, die der Eltern verlängern. Sechs Wochen bezahlte Elternzeit im Sommer, vierzehn im Jahr. Wär doch nicht schlecht? Ist natürlich nur so eine Idee, aber sie könnte sooo viel Stress rausnehmen. Eingefallen ist sie mir auf einer der vielen Fahrradtouren, wo es mir hoffentlich gelungen ist, Liebe und Aufmerksamkeit wenigstens zu arrangieren. Wir fuhren auf Straßen, die für Kutschen gebaut sind und jetzt von Geschossen befahren werden. Das sagt freilich noch nichts Schlechtes über die Kutschen und noch weniger über die 200-PS-Geschosse, außer, dass die Ferien von Kindern so gut zu denen von Eltern passen wie Highheels zum Wandertag. Denn was sagt uns die Zumutung, als arbeitnehmende Eltern mit 30, als Selbständige mit 0 freien Tagen im Jahr, gegen 73 Tage unterrichtsbefreiter Kinder anstinken zu müssen, was praktisch in die kaum lösbare Aufgabe mündet, freilaufende Kinder so zu organisieren, dass sie schöne Ferien erleben dürfen und man selbst keine Schuldgefühle haben muss? Was sagt uns das über das falsche Leben drumherum, in dem wir unser kleines richtiges einrichten müssen?
Mein Burn-out steht in voller Flamme und natürlich denke ich auch schon am Sommeranfang über die Herbstferien nach. Da fällt mir ein, dass diese Ferienwoche da, wo ich herkomme, einst Kartoffelferien hieß und dazu da war, dass die Kinder auf dem Hof bei der Kartoffelernte anpacken mussten. Das muss man sich mal vorstellen: Ferien, in denen die Kinder aus der Schulpflicht entlassen waren, um ihren Anteil an der Familienarbeit zu leisten. Hm, so
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