Mutti packt aus
Wortmaterial, die jetzt vom Grund meiner schwarzen Seele aufsteigt und die Luft zum Brennen bringt. Mein Mutterkreuz schmerzt höllisch. Doch meine Kinder nehmen’s mit einer Gelassenheit, von der ich nicht mal träumen kann. Ob ich mal ein bisschen leiser sein kann beim Aufräumen, schallt es vom Sofa herüber, wo sie sich’s alle vier gemütlich gemacht haben, schließlich laufen die Simpsons im Fernsehen. Dann zieht einer noch fürsorglich die Tür ran, weil sie ja Homers Sprüche bei dem Krach, den ich mache, gar nicht mehr verstehen können. Das sehe ich natürlich ein und höre auf zu brüllen. Gerade noch rechtzeitig, um Homer Simpson rufen zu hören: »Oh mein Gott, Außerirdische! Fresst mich nicht, ich habe Kinder! Fresst die!«
Gaben sind Aufgaben …
» Wollen wir uns dieses Weihnachten einfach mal nichts schenken?«, so erschrecke ich Jahr für Jahr meine Kind er, wenn sie exakt an dem Spätsommertag, an dem die Freibäder schließen und bei Aldi die Zimtsterne ins Regal geräumt werden, voller Eifer damit beginnen, ihre liebende Verwandtschaft en detail über die aktuellen Weihnachtswünsche zu unterrichten. Und mir schwillt augenblicklich der Kamm. Das lasse ich mir natürlich nicht anmerken und versuche Angebote zu machen, die sie nicht ablehnen können. Für die gute Sache konsumfreien Weihnachtens, für meine muntere Anregung, statt Bescherung Besinnung walten zu lassen, habe ich sogar ein bestechendes Argument und flöte mit einem Stimmchen, lieblich wie zu süßer Wein: »Wäre es nicht für uns alle schön, weniger Stress zu haben?« Ich gebe alles. Mit so viel charmant listigem Elan könnte ich glatt im hochsommerlichen Griechenland durch den Verkauf von Heizlüftern ein Vermögen machen. »Also auch für euch! Der Bastelmarathon schlaucht euch doch auch immer! Ihr könntet so viel fernsehen, wenn ihr nicht drei Monate durchbasteln müsstet!« Ha! Ich bin ganz begeistert von dem unwiderstehlich fetten Köder, den ich da aus dem pädagogischen Ärmel gezaubert habe.
Sie verziehen keine Miene. »Lass mal gut sein, Mama, wir schaffen das schon!«, winkt der Große ab und gähnt übertrieben. Seine drei Geschwister machen synchron auf Wackeldackel. Dann bricht Protestgeschrei aus, fließen Tränen und der Keim schlechten Gewissens in meinem Herzen wird nach Kräften gegossen, gedüngt und in die Sonne gerückt. Ich schimpfe schnell noch ein bisschen zurück, dass sie immer Wunschzettel schreiben, die wie Bestellformulare aussehen, weil sie vorsorglich schon Marken, Preise und Bezugsquellen von all dem Kram dazu notieren. »Wir wollen’s dir doch nur ein bisschen einfacher machen!«, spricht der Jüngste unwahrscheinlich zart und schafft es, wie ein neugeborenes Lamm auszusehen.
Ich muss zugeben, dass es ja nicht nur hausfrauliche Überforderung, sondern auch hehre Kapitalismuskritik ist, die mich bewegt, den saisonalen Kraftakt mit flammenden Worten zu verdammen. »Weihnachten ist für Kinder – nicht für Karstadt, nicht für Kreditanbieter und nicht zur Konjunkturbelebung gedacht«, wage ich ein letztes Aufbegehren und ordne meinen Rückzug. »Super. Du hast’s gecheckt«, lobt meine Tochter. »Für Kinder – und weil wir die Kinder sind, wünschen wir uns was.« Mit dem letzten Rest von Würde nehme ich vier verschlossene Umschläge in Empfang, deren Inhalt mich auch in diesem Jahr nicht besonders überraschen wird. Deshalb beschließe ich trotzig, sie einfach erst mal nicht zu öffnen.
Dem mutigen Vorstoß in Richtung konsumfreie Weihnachten mit echter Besinnung auf die wahren Werte, den doppelbelastete Mütter, schuldbewusst geschiedene Väter, weit weg lebende Omas, entfremdete Tanten im Verein mit anderen schenkungspflichtigen Verwandten wagen, wenn die Tage kürzer werden, geht ein klägliches Scheitern des gleichen Vorhabens im Jahr zuvor immer wieder voraus. Nicht nur bei uns hat sich die Idee, auf den ganzen Geschenkewahnsinn einfach mal zu verzichten, zum festen Programmpunkt der Vorweihnachtsrituale entwickelt, unverzichtbar wie der Martinstag oder die Nikolaus- und Weihnachtsfeiern im Fußballverein – der Startschuss fällt schon Wochen bevor grellrote Plastikweihnachtsmänner von den Fassaden grinsen und der Kudamm in finstrer Illumination erstrahlt.
Dass sie mit einem blankpolierten Apfel und dicken Kuss nicht zufrieden wären – geschenkt. Doch es spricht mehr als humanistische Zivilisationskritik, erzieherische Ambition oder wirtschaftliche Vernunft gegen die
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