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Mutti packt aus

Mutti packt aus

Titel: Mutti packt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lotte Kühn
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Elternteil geoutet. Dann wüssten sie mit einem Schlag, dass ich diesen billigen Engagiertenzirkus seit etlichen Jahren genauso gerne über mich ergehen lasse wie etwa eine Mammographie. Und ich stünde dumm da, etwa so wie das einzige Mädchen, das nicht zum Kindergeburtstag eingeladen wird. Ganz zu schweigen von der Schmach, die ich meinen armen Kindern zufüge, wenn ich lieber abseits der Herde grase. Kritische Fragen beharren auf einer Antwort. Dürfte ich denn Abwege einschlagen und Ausreden ersinnen und dabei meiner Tochter möglicherweise den Spaß am Völkerball-Event und meinem Sohn die Freude am generationenübergreifenden Funpark-Besuch versauen? Ich versuch’s mal mit einem allgemein gehaltenen Vorstoß in Richtung Weihnachten und nehme meinen Jüngsten ins Visier: »Hey, wie wäre es, wenn ich mich in diesem Jahr mal um die Weihnachtsfeier für deine Klasse kümmern würde? So Weihnachtsfeiern finden doch Lehrer und Eltern und ihr ja bestimmt auch sehr schön … tolle Sache, wenn Weihnachten schon im November gefeiert wird, und dann noch alle zusammen! … Und ich meine … ich habe noch nie eine organisiert …« An die letzte Klassenweihnachtsfeier meines Sohnes – wir kamen etwas später angehetzt, weil wir vorher noch auf der Fußballvereinsweihnachtsfeier vorbeischauen mussten – kann ich mich lebhaft erinnern. Leons Mutti hatte sie auf Bitten der Lehrerin mit viel Engagement gestaltet und geleitet. Aus einem mitgebrachten Ghettoblaster hallten zarte Xylophon-Melodeien, zu denen wir der Stimmung wegen angehalten waren, gemeinsam Weihnachtslieder zu singen. In Ermangelung von Kinderstimmen – denn die gymnasiale Schülerschaft hatte sich, offenbar ohne auch nur das winzigste Defizit dabei zu empfinden, bis zur Buffeteröffnung vom Acker gemacht –, hefteten sechzig nach Hause wollende namenlose Mütter und Väter, Großeltern und Lehrer ihre Blicke auf die Kunstalpenveilchen darstellende Tischdeko und brummten So viel Peinlichkeit in der Weihnachtszeit … Quatsch, Heimlichkeit natürlich. Die Einzige, die sich nicht schämte und fröhlich ihren Individualismus hochhielt, indem sie sich der angrenzenden Eltern- und Lehrerschaft immer wieder aufs Neue namentlich vorstellte, war Lisas demenzkranke Omi.
    Mein Jüngster verzieht das Gesicht, rollt mit den Augen, unterstützt von seinen Geschwistern, und nölt: »Och nee, Mama … schon wieder so’n Elternlehrerding … muss das immer sein?«

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    »Ach übrigens, Mama«, flötet mein Mädchen leichthin und tänzelt um mich herum, wohlweislich während ich die Tages schau gucke, »nächste Woche fahre ich an die Ostsee. Mit meinen Freundinnen!« Ich tue so, als hätte ich nichts gehört. Angestrengt versuche ich mitzukriegen, wie die Bundesregierung jetzt in Sachen Atomkraft entscheiden will. Sie baut sich mit verschränkten Armen zwischen mir und der Glotze auf, dabei funkelt sie angriffslustig mit den Augen, reckt das Kinn. »Was dagegen?«
    Ach, Kind, warum sollte ich? Ich weiß doch ganz genau, dass es nicht reicht, vier lebenstüchtigen Teenagern immer nur vom Leben da draußen zu erzählen. Irgendwann wollen sie selbst herausfinden, was es damit auf sich hat, und dann muss man sie ziehen lassen. »Schöne Idee!«, versuche ich Zeit zu schinden. »Ihr vier alleine?« – »Jap!«, sagt sie entschlossen. »Ohne Erwachsene! Erwachsen sind wir nämlich selber!« Nun trifft es sich selten, dass in dem Augenblick, wo ein Kind verkündet, dass es keines mehr sei, auch den Müttern die Einsicht wie Schuppen von den Augen fällt, dass sie ihre Erziehungsarbeit in glücklicher Erleichterung niederlegen dürfen. Doch ich verkneife mir den harten ironischen Lacher, ich deute nicht stumm mit dem pädagogischen Zeigefinger auf ihr Zimmer, in dem es aus sieht wie in einem bewohnten Bombentrichter. Ich verweise auch nicht auf mumifizierte Apfelkitschen, versteinerte Käsebrote, verschwiemelte Kaffeetassen und unter das Bett gerollte Joghurtbecher. Und ich zische auch nicht süffisant, dass ich mir eine erwachsene Frau immer genauso vorgestellt habe. Ich ringe momentan einfach um eine möglichst einfühlsame, intelligente, respektvolle und beziehungsschonende Formulierung meines Widerstandes. Denn mir ist überhaupt nicht wohl bei dem Gedanken an das, was vier zauberhaften, abenteuerversessenen und diesbezüglich komplett unerfahrenen, weil bislang rund um die Uhr behüteten Mädchen allein auf einem schrabbeligen Zeltplatz an der Ostsee

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