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Mutti packt aus

Mutti packt aus

Titel: Mutti packt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lotte Kühn
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Morgens um fünf, total verpennt, hat er mir noch einen Kuss auf den Mund gedrückt, ist aus dem Bett in seine Hosen gesprungen, auf Zehenspitzen, mit den Schuhen in der Hand durch den Flur geschlichen, hat sich den Schmerzensschrei gerade noch verkneifen können, als er mit nackten Füßen auf einen herumliegenden Legostein trat, hat mit angehaltenem Atem die Wohnungstür sachte von außen zugezogen, im kalten Treppenhaus die Schuhe angezogen und ist die Treppen erstaunlich lautlos hinuntergesprintet, um in seine eigene Wohnung zu eilen. So ist es abgemacht: Die Kinder sollen vorerst rausgehalten werden aus dieser jungen Liebe, von der wir beide noch nicht so recht wissen, wie sie sich entwickeln wird. Schließlich würde mir nicht mal im Traum einfallen, meine alleinerzogenen Kinder mit einer Parade ständig wechselnder Stiefväter zu verstören. Also schön sachte.
    Unten auf der Straße hat er noch einmal nach oben geschaut, erzählt er mir später am Telefon, und da standen vier Kinder im Schlafanzug am Fenster und schauten mit großen Augen hinunter. Unverwandt sei ihm dieser Blick vorgekommen, und das trifft’s ja auch irgendwie. Sind sie an diesem Morgen extra früher aufgestanden, weil sie ihn endlich mal sehen wollten? Dass es da jemanden gibt, ahnen sie wahrscheinlich schon länger, denke ich beklommen. Und jetzt wissen sie Bescheid.
    A m nächsten Wochenende soll’s passieren. Showtime. Er wird mittags vorbeikommen, und dann werden wir alle zusammen in den Zoo gehen. Es wird Eis geben, die Ziegen im Streichelzoo werden gefüttert – was ihr wollt, sage ich und seufze, ja, na gut, auch eine Cola für jeden. Er will unbedingt einen guten Eindruck machen. Und deshalb ist er furchtbar aufgeregt. Hin und her hat er überlegt, ob er seine alte Base ballkappe zu diesem ersten offiziellen Treffen aufsetzen soll und ob mit den neuen Nike Air an den Füßen zu punkten sei. »Vergiss bloß nicht, was mitzubringen«, hat ihm seine Mutter am Telefon geraten. Er kauft also vier Überraschungseier, setzt die Kappe auf und steht vor der Tür. Ich öffne, flankiert von vier Kindern, die ihn, jetzt sehe ich’s auch, unverwandt anstarren. »Das ist, äh«, versuche ich mein Bestes und werde ein bisschen rot. »Wissen wir schon«, bemerkt mein Großer kurz und wundert sich: »Was hat’n der für ’ne vollblöde Mütze auf?« Und seine Schwester streift die Überraschungseier mit einem kurzen Blick. »Is doch was für Babys«, sagt sie, »hast du keine Pokémon-Sticker?«
    Die Luft ist zum Schneiden, was sag ich, dünne Luftscheibchen rieseln mir vor die Füße. Wieso kann ich eigentlich meinen Blick nicht heben? »Komm doch erst mal rein«, sage ich zu ihm, der wie angewurzelt auf dem Fußabtreter steht. Unter seinen Füßen mit den gewollt coolen Turnschuhen lugt wie ein böser Kommentar das Welcome hervor. Ich hätte dieses scheußliche Geschenk meiner Ex-Schwiegermutter längst wegwerfen müssen. Doch jetzt ist es zu spät. Das also ist meine Familie. Nur nichts überstürzen, sage ich mir. Sie müssen ihn ja nicht mögen, trotze ich ein wenig. Obwohl, schön wär’s schon. Tief durchatmen. Nichts muss, alles kann passieren. Wenn das Unternehmen, die eigenen Kinder an einen fremden Mann zu gewöhnen, nicht so erfolgreich sein soll wie etwa das rumänische Raumfahrtprogramm, muss man sich zu beherrschen wissen und einen langen Atem haben – freundlich bleiben, ohne sich anzubiedern, die Phantasien und Wunschträume rund um ein mögliches Glück im Zaum halten und die Zeit für sich arbeiten lassen. Ich spiele das altvertraute Versetz-dich-Spiel, natürlich in deine Kinder. Mit einem raschen Blick auf den Trupp an meiner Seite komme ich zu einem schockierenden Ergebnis: So etwa könnte einem ausgehungerten Kannibalen in einer gut besetzten Sauna zumute sein. Denn ein neues Familienmitglied ist ja nicht immer ein freudiges Ereignis.
    Fassungslos registriere ich, wie unglaublich schlecht sich meine Kinder benehmen. »Hast du keinen eigenen Kühlschrank zu Hause?«, herrscht ihn der Kleine an, als er sich die Milch zum Kaffee herausholt. »Du bist ja eine richtige Fressmaschine«, klotzt die Große, als er sich beim Mittagessen eine zweite Kelle Nudelsuppe nimmt. »Hör mal, das ist normal!«, sagt meine Freundin, als ich am Telefon schluchze. »Die können doch gar nicht anders, als den Eindringling in ihm zu sehen!« Ich schniefe. »Versuch’s doch mal mit Eingewöhnungszeit!« Wie jetzt? Ich putze mir die Nase und

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