Mutti packt aus
lausche verblüfft den weisen Worten, die mir da entgegenperlen. »Na, wie im Kindergarten!«, hilft sie mir auf die Sprünge. »Schon vergessen? Heute erst mal nur dreißig Minuten, wobei die Mutti aber dabei bleibt, nächste Woche vierzig Minuten, wobei Mutti um die Ecke warten soll, nach drei Wochen darf er eineinhalb Stunden zum Mittagsschlaf bleiben und so weiter.«
Wieso bin ich da nicht selbst drauf gekommen? Großartige Idee!
Die beiden Großen nehme ich zuerst ins Gebet. Mache alles richtig. Überbringe mein Mitgefühl für ihre schwierige Lage, beteuere Verständnis, schildere ihnen vorwurfsfrei in starken Ich-Botschaften mein Entsetzen über ihr Benehmen, verliere mich in haarspalterischen Petitessen über den Unterschied zwischen höflich und freundlich, bestehe nur auf Ersterem, stelle Letzteres frei. Dann arbeite ich mich in Nano-Schritten voran und male einen bunten Strauß möglicher Kompromisse ins Blau der Möglichkeiten. Der Große schüttelt energisch den Kopf. »Wenn der bleibt, gehe ich!«, sagt er mit männlich-fester Stimme und trifft mich mitten ins Herz. Gut, in meinen schwärzesten Momenten habe ich auch schon den boshaften Einfall gleich wieder vergessen müssen, dass es doch heute schon ganz schöne betreute Jugendwohngemeinschaften gibt. Aber das war doch nie ernst gemeint! »Mama, wenn ich den nachts am Kühlschrank oder auf dem Klo treffe …!«, warnt meine Große. »Dann???« , mir platzt gleich der Kragen. In ihren Augen buchstabiert sie blanke Entschlossenheit. Ich werfe verzweifelt die Arme in die Luft und hätte beinahe losgebrüllt, dass ich doch auch ein Recht auf Besuch in dieser Wohnung habe und mir das nicht von dieser Bande egoistischer Biester verbieten lasse und ihnen deshalb jetzt mal zeigen werde, wo der Hammer hängt … Doch mit letzter Kraft besinne ich mich eines Besseren und erlaube mir nur ein paar weinerliche Ausführungen über das klitzekleine Fitzelchen Glück, auf das ich als Mutter doch auch einen Anspruch habe! »Vergiss es«, hält mir mein Sohn ruhig wie ein Nilkrokodil entgegen. Und schnappt plötzlich zu: »Du bist mit uns glücklich, dir fehlt gar nichts. Hast du selbst gesagt!« Ich sag jetzt lieber nichts mehr. Denn, das wird mir hier schlagartig klar, in Sachen Sagen stecke ich ganz ordentlich im Reformstau.
Bin ich eigentlich schön
»Bin ich eigentlich schön?«, fragt mich mein Mädchen und balanciert auf dem Rand der Badewanne, während ich mit dem verstopften Abfluss kämpfe. Sie schürzt die Lippen wie ein Kugelfisch, der sich durch sieben Weltmeere schnappen muss, stemmt die Hände auf die Hüften, wirft den Kopf nach hinten und überprüft im gegenüberliegenden Spiegel über dem Waschbecken den korrekten Sitz ihrer Jeans. »Als ob’s immer um Schönigkeit geht!«, murrt ihr kleiner Bruder, der gute Junge, im Vorübergehen. »Idiot!«, brüllt mein Mädchen und keift. »Denkst du, ich will so scheiße aussehen wie du?« Er knallt die Tür so fest zu, dass der Putz von der Wand rieselt.
»Du bist wunderschön und jetzt sei so gut und …«, weiter komme ich nicht, da schreit sie schon los. »Das sagst du doch nur so! Du hast doch keine Ahnung!« Ihre Schwester gesellt sich auf einen kleinen Badezimmerschwatz zu uns und höhnt, während sie ihre rotlackierten Fingernägel mustert: »Stimmt! Mama hat echt keine Ahnung. Sie glaubt sogar, Brad Pitt wäre eine gefährliche Hunderasse!« Im hämischen Kichern scheint ein ganz frischer schwesterlicher Schulterschluss auf. Seit der erste Antipickelstift neben meiner Antiagingcreme platziert wurde, kämpfe ich auf verlorenem Posten und schaue mit hilflos rudernden Armen zu, wie sich unser Badezimmer ins Backstage einer Miss-World-Wahl verwandelt. Teenagerjahre entpuppen sich als wartungsintensivste Lebenszeit, in der man grundsätzlich an etwas verzweifelt, dem man in allem, das spiegeln kann, schutzlos ausgeliefert ist.
Bitte, ich weiß längst, dass es im Leben eher weniger auf flache Bäuche und coole Outfits ankommt. Doch seit meine Mädchen wissen, dass es auf nichts anderes ankommt, kann ich auf den ehemals glatten Kinderstirnen das Schild »Wegen Umbau geschlossen« deutlich erkennen. Nach Töchterart taub für Mutterworte und altersgemäß anfällig für Model-messages wird neuerdings gehungert, gepeelt, gewaxt, gesträhnt, gestylt und gefärbt. Ungeschminkt würden die beiden noch nicht einmal zu Facebook gehen.
Dass Mädchen lieber schön sein wollen als klug, weil Jungs besser sehen
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