Mutti packt aus
alles passieren kann. »Was wollt ihr denn überhaupt an der Ostsee?«, frage ich dumm. Rechtschaffen empört rutscht ihr eine alarmierende Zusatzbemerkung raus. »Na, zelten! Und nach süßen Jungs gucken!«
Oh je. Genau das habe ich befürchtet. »Hier gibt’s nämlich keine!«, versucht mein Frühblüherchen vorauseilend mein nächstes Argument zu entkräften. »Habt ihr wirklich überall genau gesucht?« Sie wischt meine Nachfrage einfach weg. »In der Schule sind nur Vollpfosten. Den süßen Fahrer aus der Mensa sehe ich auch nicht mehr, weil Ferien sind. Der süße Junge von gegenüber hat ’ne Freundin. Und der süße Typ an der Kasse bei Kaisers hat gekündigt!«, fasst sie die defizitäre Situation zusammen. »Aber ihr habt doch noch nie gezeltet!«, rolle ich die Front von der anderen Seite auf. Großspurig fegt sie auch diesen Einwand beiseite. »Das kann ja wohl so schwer nicht sein. Wir haben uns ein Zelt geborgt und fragen einfach vorher jemanden, wie man das aufbaut.«
Zum Glück gibt’s ein Problem. Eine von den vieren ist noch nicht sechzehn, und deshalb darf sie nicht mit auf den Zeltplatz. Und auch nicht in die Jugendherberge. Herrjehmineehh, wie schade aber auch! Na ja, vielleicht nächstes Jahr! Ich will schon aufatmen, doch mein Mädchen bietet alle erdenkliche Überredungskunst auf, um diese Katastrophe noch abzuwenden. Meine Taubheit wirft sie schließlich schluchzend auf ihr Bett. Stundenlang. Dann steht sie wieder auf, um ausführlich zu telefonieren, zu intrigieren und einen Ausweg ins Dickicht der Ablehnung zu fräsen. Das Angebot, ersatzweise in der Laube der Familie vier Tage lang zu viert zu zelten, hat der Vater der 15-jährigen Freundin präzise in die Schnittmenge ihrer Verzweiflung und meiner Verstocktheit hinein platziert. Sie nehmen an! Ich auch! Generalstabsmäßig wird die Sache durchgeplant, und am Abend werden vier Abenteurerinnen am Gartentörchen von vier besorgten Elternteilen abgeliefert – mit Proviant für vierzig Wochen, vierzehn Überseekoffern voller Klamotten und vier frisch aufgeladenen Handys. Das Zelt hat der Vater vorsorglich schon mal aufgebaut.
Zwei Stunden später der erste Anruf: Wir haben Spaghetti gekocht, und es ist kein Sieb zum Abgießen da. Was sollen wir jetzt machen? Kurz darauf der zweite Anruf: Es regnet durchs Zelt. Was sollen wir jetzt machen? Dann der dritte Anruf: Hier sind so komische Geräusche. Was sollen wir jetzt machen? Unmittelbar danach der vierte Anruf: Schlafen Wespen nachts? Wir haben ein Wespennest unter der Dachrinne entdeckt! Was sollen wir machen?
»Nichts sollt ihr machen! Schlaft endlich!«, belle ich durchs Telefon. »Wespen? Damit wird man doch fertig! Erwachsen sein heißt, einen Staubsauger zu benutzen!«
Pikiertes Schweigen am anderen Ende. »Gute Nacht, Mama.« Tutututut. So bleibt es drei Tage ruhig. Als mein Mädchen am Ende des vierten Tages mit der sehr lässigen, todesverachtenden Überlegenheit eines wochenlang in der Wüste verschollenen und rein zufällig geretteten, sehr erfahrenen Buschpiloten ins Auto steigt, ihren Rucksack schwungvoll chauvinesk auf den Rücksitz wirft und mich mitleidig anlächelt, frage ich nur: »Und, wie war’s?« – »Alles supi!«, gibt sie zurück und dehnt jede Silbe genüsslich, »nur der Grill ist kaputtgegangen.« – »Oh, warum das denn?« Sie hebt die Hände in leisem Bedauern. »Weil ich Torf draufwerfen musste!« – »Hä? Wieso das denn?« – »Ach, ich dachte, das wäre Erde!« Ich verstehe nur – Bahnhof. »Warum wolltest du Erde auf den Grill werfen?« Sie schaut mich ob meiner Begriffsstutzigkeit mitleidig an. »Na, um den Brand zu löschen!« Mir sackt das Blut in die Füße. »Waaaas? Der Grill hat gebrannt??? Warum das denn?« Sie umschlingt ihre Knie mit den Händen, klappt den Spiegel herunter, korrigiert den Lidstrich und seufzt dabei tief. »Keine Ahnung, da war irgendwas am Schlauch undicht.« Sie verdreht die Augen. »Bleib mal cool, kein Ding, wir haben das schon ganz gut alleine in den Griff gekriegt. Schließlich sind wir keine Babys mehr!« Ich bin da nicht so sicher, aber sie schaut stolz geradeaus und schweigt vielsagend. Dann lächelt sie mich nachsichtig an. »Schade, dass wir nicht mit den Feuerwehrleuten weitergrillen konnten. Aber die mussten noch zu einem anderen Feuer. Und der Grill war ja auch abgebrannt. Aber zwei von denen waren echt total süß!«
Wie man seine Kinder an einen neuen Mann gewöhnt
In aller Frühe ist er gegangen.
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