My Lady 0145 - Sheila Bishop - Der geraubte Kuss
das!“
„Ich habe das getan, was ich deinen Ratschlägen zufolge niemals hätte tun dürfen, Mama“, antwortete Madeleine tonlos. „Ich bin mit Mr. Forester in seiner Karriole nach Dalney Castle gefahren und habe dort mit ihm diniert.“
„Wie konntest du dich so ungehörig benehmen!“ ereiferte sich Alice. „Aber ich glaube dir kein Wort! Ist dir nicht klar, du dummes Kind, daß du, wenn du Walter Cottle mit solchen Lügen in Schutz nehmen willst, dir deinen guten Ruf zerstörst?“
„Ich lüge nicht, Mama“, entgegnete Madeleine trotzig. „Hin und wieder habe ich geflunkert, doch jetzt sage ich die Wahrheit.“
Jeder starrte die beiden Frauen an und wandte dann verlegen den Blick ab.
Olivia erhob sich, nahm Madeleine bei der Hand und führte sie aus dem Speisezimmer in den nebenan gelegenen Salon.
Alice hastete ihnen nach, warf die Tür ins Schloß und herrschte die Tochter an:
„Warst du irgendwann allein mit Mr. Forester? Was hat er mit dir gemacht? Und wo war Flora? Ach, das alles ist nur Ihre Schuld!“ wandte sie sich wütend an Miss Fenimore. „Ich vermute, Sie waren in die Sache eingeweiht! Ich hätte Madeleine nie gestatten dürfen, dieses Haus zu betreten. Wir alle wissen ja, welchen Ruf Ihre Cousine Hetty hatte, bevor Mr. Makepeace sie heiratete.“ Olivia fand den Hinweis auf Hetty äußerst unangebracht, entschloß sich jedoch, nicht darauf einzugehen, um Flora und deren Freundin nicht zu verraten.
„Natürlich bedauere ich, was vorgefallen ist“, erwiderte sie kühl, „bin nach einem Gespräch mit Flora indes der Meinung, daß ihr und Ihrer Tochter kein Leid widerfahren ist.“
„Flora hatte Glück“, sagte Madeleine düster. „Sie war mit Bernard zusammen.“
„Was soll das heißen?“ kreischte Alice. „Willst du damit andeuten, daß Mr.
Forester sich an dir vergriffen hat?“
„Ja, wenn du es so nennen willst.“
Alice rang nach Luft. „Ist es… willst du… hat er dir . '. Gewalt angetan?“ stammelte sie fassungslos.
„Nein“, antwortete Madeleine leise. „Ich habe mich seinen Wünschen nicht widersetzt. Und dann war es zu spät, mich zu sträuben“, fügte sie mit verzweifelter Offenheit hinzu.
„Du schamloses Weibsbild!“ schrie Alice. „Wie konntest du dich so ehrlos aufführen und alles vergessen, was ich dich gelehrt habe? Was soll nun aus dir werden? Angenommen, du wirst guter Hoffnung, dann machst du mir und Charles die fürchterlichste Schande! Mr. Forester muß dich heiraten!“
„Ich will nicht seine Frau werden“, sagte Madeleine entschlossen. „Ich hasse ihn!“ Sie begann zu zittern und murmelte kläglich: „Es tut mir leid, Mama.“
„Wage nie wieder, mich so zu nennen!“ geiferte Alice. „Ich bin nicht deine Mutter.
Dem Himmel sei Dank dafür! Meine leibliche Tochter hätte sich nie so verabscheuungswürdig benommen wie du! Ich darf gar nicht daran denken, wieviel Liebe und Aufmerksamkeit Charles und ich dir geschenkt haben und welche Hoffnungen wir auf dich setzten! Alles war vergebens! Doch ich hätte mir von vornherein darüber im klaren sein müssen. Wir hätten dich niemals an Kindes Statt annehmen dürfen. Deine Mutter war ein haltloses Weib! Warum hätte man ihr sonst gestattet, einen mittellosen Emigranten zu heiraten und mit ihm nach Frankreich zu ziehen?“
Madeleine wollte etwas äußern, doch kein Laut kam ihr über die Lippen.
Der Haß, der aus Alice Osgood sprach, erschütterte Olivia mehr alles andere, von dem sie an diesem Tag Kunde erhalten hatte. „Ich bin sicher, Mrs. Osgood“, warf sie beklommen ein, „daß Sie den Sinn ändern werden, wenn Sie Zeit zum Nachdenken hatten.“ Sie merkte jedoch, daß weder Alice Osgood noch deren Tochter ihr zuhörten.
Jäh wurde die Salontür geöffnet, und Charles Osgood kam in den Salon. Er wirkte aufgeregt und sah verärgert aus.
„Die Kutsche ist vorgefahren, meine Liebe“, sagte er zu der Gattin. „Ich bin sicher, du möchtest unverzüglich heim. Mr. Fenimore hat vollstes Verständnis.
Fühlst du dich imstande, zum Wagen zu gehen?“
„Ja“, antwortete Alice und fügte wütend hinzu: „Aber dieses elende Geschöpf kommt nicht mit! Ich will sie nicht mehr bei uns sehen!“
„Wie du willst, mein Schatz“, erwiderte Charles achselzuckend.
Im stillen staunte Olivia, wie sehr er unter der Fuchtel seiner Gemahlin stand. Es entsetzte sie, daß er und seine Frau willens waren, die Adoptivtochter zu verstoßen, und rasch warf sie ein: „Würden Sie mir bitte
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